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Imperator

Imperator

Titel: Imperator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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drückten. Damit hatten sie gerechnet. Nectovelin trieb sein Schwert in das Gewebe und durchtrennte es mit einem langen Schnitt.
    Sie schoben sich nach oben in den weichen Lichtschein von Fackeln und Öllampen. Agrippina kniff die Augen zusammen; es war das erste Licht, das sie an diesem Tag sah.
    Sie nahm die Szenerie im Nu in sich auf. Die Scheune war zu einem Palast geworden: Man hatte die Wände hastig weiß getüncht, und auf dem Fußboden lag ein dicker Teppich mit ornamentalem Webmuster. Öllampen verteilten Lichtpfützen. Niedrige gepolsterte Liegen und Tische standen im Raum verstreut, die Überreste der Abendgesellschaft. Inmitten all dieses Luxus kam sich Agrippina, die in ihrem Loch im Boden stand, wie ein schmutziges, stinkendes Tier in der Welt der Menschen vor.

    Und an einem Ende der Scheune stand ein mit Schriftrollen und Pergamenten überhäufter Schreibtisch, an dem ein unscheinbarer, in eine schlicht aussehende Wolltunika gekleideter Mann saß. Er schaute sich zu den Eindringlingen um und stand langsam auf. Er war vielleicht dreißig Fuß von Agrippina entfernt.
    »Claudius!«, brüllte Nectovelin und warf sein Schwert.
    Claudius zuckte zusammen, wich jedoch mit einem schlurfenden Schritt aus. Das Schwert bohrte sich in die Tischplatte und spießte dabei ein paar Schriftrollen auf. Der Angriff war bereits fehlgeschlagen, sah Agrippina. Es war Zufall, dass sich ihre Grube an einem Ende der langen Scheune befand, Claudius’ Schreibtisch hingegen am anderen, sodass er Zeit gehabt hatte, beiseitezutreten.
    Nectovelin brüllte seine Enttäuschung heraus, zog einen Dolch und rannte auf Claudius zu. Aber der Kaiser erholte sich von seinem Schrecken und rief nach seinen Wachen: »Custodiae !«
    Als Erste reagierten die beiden älteren Römer vom Vortag in Camulodunum, der eindrucksvolle Kommandeur und der Grieche – obwohl der Kommandeur seine Rüstung schon halb abgelegt hatte und der Grieche ein Nachthemd trug. Der unbewaffnete Kommandeur warf sich ohne zu zögern vor Nectovelins Beine und brachte ihn zu Fall. Nectovelin wehrte sich, aber der jüngere und ebenso schwere Römer war auf seinem Rücken, und im Nu hatte er Nectovelin den Dolch abgenommen und ihm diesen an die Kehle gesetzt.

    Weitere Soldaten stürzten herein. Agrippina zögerte nicht. Sie packte den Griechen, drehte ihm mühelos den Arm auf den Rücken und schlitzte ihm mit einem wilden Schwung ihres Messers die Wange auf. Der Grieche stieß einen gellenden Schrei aus; seine Stimme war so hoch wie die eines gepeinigten Schafes.
    Der Kaiser schien sich mehr Sorgen um das Schicksal des Griechen als um sein eigenes zu machen. Er trat einen Schritt vor. »Narcissus!«
    »Bleib, wo du bist«, fauchte Agrippina auf Lateinisch. »Lass Nectovelin leben. Oder der hier stirbt vor deinen Augen.«
    Die volle Scheune war zu einem lebenden Bild geworden  – der Kaiser, Agrippina mit Narcissus, Nectovelin, dessen eigene Klinge in seine Haut schnitt, und die Wachen, die mit gezogenem Schwert wild umherstarrten. Einer von ihnen hielt Cunedda umklammert.
    Der Römer am Boden blickte auf. »Herr«, zischte er. »Lass mich dieses fette Schwein kaltmachen.«
    Claudius war ein kleiner Mann mittleren Alters. Sein rettender Schritt war ungleichmäßig gewesen, ein Hinken, und sein Mund öffnete und schloss sich wie das Maul eines nach Luft schnappenden Fisches, als er die Situation in sich aufnahm. In Gallien munkelte man, Claudius sei ein Schwächling, vielleicht sogar missgestaltet, der Kümmerling des kaiserlichen Wurfs. Komischerweise trug er dicke Socken; vielleicht hatte er auch Kreislaufprobleme. Aber er war ein Kaiser, und nach diesem ersten Augenblick des Schreckens stand
er hoch aufgerichtet da, und seine Stimme war fest. »Lass ihn aufstehen, Vespasian.«
    »Herr …«
    »Lass ihn aufstehen! Ich bin jetzt nicht mehr in Gefahr.« Er warf einem seiner Soldaten einen Blick zu. »Mit der Frage meiner persönlichen Sicherheit befassen wir uns später, Rufrius Pollio.« Der Mann, vielleicht der Befehlshaber des Wachtrupps, duckte sich furchtsam. »Aber ich möchte meinen Sekretär nicht an diese schmutzigen Banditen verlieren. Lass ihn aufstehen, sage ich.«
    Der römische Kommandeur, Vespasian, stieg widerstrebend von Nectovelin herunter. Er packte den Briganten mit einer großen, schweren Hand am Kragen und zerrte ihn auf die Beine. Dabei hielt er ihn am Arm fest. »Eine Bewegung, du hässlicher Bastard, und ich schneide dir die Kehle durch, ganz

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