Imperator
erklärte sie ihnen. Außerdem, fand sie, waren ihre Jahre so ausgefüllt gewesen, dass es für zwei Leben gereicht hätte.
Aber eine letzte Angelegenheit hatte sie noch zu erledigen.
XXVI
Obwohl Marcus Allius stets in der Gunst seines Kommandeurs Vespasian gestanden und im Gefolge seiner Zeit in Britannien auch ein wenig Ruhm erlangt hatte, war er nie weiter aufgestiegen als bis zum Rang eines Zenturio – und um die Wahrheit zu sagen, er hatte es auch nie gewollt.
Er schied so früh wie möglich mit einer dicken Veteranenpension aus dem Heer aus und kaufte sich einen kleinen Weinberg einen Tagesritt von seiner Heimatstadt Rom entfernt. So wie er immer ein tüchtiger, aber niemals großartiger Soldat gewesen war, erwies er sich nun als erfolgreicher, aber keineswegs begüterter Winzer. Er zog einen starken Sohn groß, der wie sein Vater zum Militär ging.
Im Alter von fünfundfünfzig Jahren, über ein Vierteljahrhundert nach seinem britannischen Abenteuer und so gesund wie eh und je, freute sich Marcus auf einen langen Lebensabend.
Dann suchte ihn eines Tages ein Sklave auf, der einen Brief brachte.
Die Nachricht kam von einer gewissen Agrippina, die in Britannien geboren war, aber nun in Rom lebte. Sie sei bei der Landung der Römer in Rutupiae ebenfalls
dabei gewesen, schrieb sie, und ihr Brief betreffe »eine unerledigte Angelegenheit«.
Es sei ihr gelungen, Vespasians offiziellen Biografen zu konsultieren, um herauszufinden, welche Legion damals als Erste in Britannien gelandet sei, in jener dunklen Nacht in Rutupiae vor dreißig Jahren, welche Zenturie als Erste an Land gegangen sei und welcher Mann jener Zenturie, dessen Namen sie gehört zu haben glaube, als Erster den Fuß auf britischen Boden gesetzt habe. Agrippina fasste die Schritte zusammen, die sie unternommen hatte, um dafür Sorge zu tragen, dass sie und nur sie allein die volle Verantwortung für das Verbrechen übernahm, das gleich geschehen würde – aber sie werde bereits tot sein, wenn Marcus Allius den Brief öffne.
Marcus blickte zu dem Sklaven auf und fragte: »Was für ein Verbrechen?«
Die Klinge in der Hand des Sklaven war das Letzte, was er sah.
ZWEITER TEIL
ERBAUER
122–138 N. CHR.
I
Brigonius hatte eingewilligt, sich mit den Römerinnen nahe der Stadt Durovernum Cantiacorum zu treffen, auf der Straße nach Osten in Richtung Rutupiae an der Küste.
Für einen Briganten war das weit von der Heimat entfernt. Aber Brigonius erreichte den Treffpunkt früh am Morgen, eine ganze Weile vor der vereinbarten Stunde, und er musste warten. Er fand einen Meilenstein, auf den er sich hocken konnte, setzte seinen verbeulten, alten, breitkrempigen Hut auf, um sich vor der Sonne zu schützen, und ließ sein Pferd das harte, schmutzige Gras neben der Straße fressen. Bald wurde ihm heiß, und sein Gesicht juckte unter dem immer noch neuen und ungewohnten Bart. Er war zweiundzwanzig Jahre alt.
Die Stadt war ungefähr eine halbe Meile entfernt. Er sah sich den Ort neugierig an. Durovernum war eine Insel aus Holz und Stein mit Dächern aus leuchtend roten Ziegeln. Für Brigonius sah der Ort sehr seltsam aus, ganz anders als seine eigene Rundhäuser-Gemeinschaft in Banna – und er hatte auch keinerlei Ähnlichkeit mit der römischen Militärarchitektur, mit der er im Norden aufgewachsen war, jenen unzähligen
schachtelförmigen Kastellen und Wachtürmen wie dem in Banna.
Römerstraßen war er jedoch gewohnt. Sie überzogen das ganze Land. Diese führte pfeilgerade nach Osten, und ihr festgestampfter Kiesboden war flach und eben. Sein Steinbrecherauge bemerkte, dass sie zwei-oder dreimal neu gedeckt worden war, sodass sie sich stolz über das Ackerland rundum erhob. Alt oder nicht, die Straße war gut erhalten, ihre Entwässerungsrinnen waren freigespült, und sie schien sich nirgends abzusenken. Die römischen Soldaten, die sie gebaut hatten, hatten gute Arbeit geleistet, gestand er sich widerwillig ein.
Heute wurde die Straße jedoch nicht von Soldaten benutzt. Ungefähr eine Stunde lang hatte Brigonius an diesem frühen Morgen seine Ruhe, nur er selbst war hier, sein Pferd, die Straße und der Gesang der Vögel. Doch im weiteren Tagesverlauf füllte sich die Straße: Menschen zu Fuß und zu Pferd, auf Karren, in Kutschen und Sänften. Die Stadtbewohner waren heiter, sauber, wohlgenährt und in bunte Farben gekleidet, und ihre Haut glänzte von kosmetischen Ölen. Sklaven gingen neben den Kutschen ihrer Herren einher oder trugen sie
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