Imperator
Könige«, des Statthalters und des Prokurators, die gemeinsam die neue Provinz verwalteten. Als Agrippina vierzig war, löste das brutale Regime von Claudius’ Stiefsohn Nero einen Aufstand in Britannien aus, an dessen Spitze eine Icenerin namens Boudicca stand, die Soldaten im Ruhestand, Advokaten, Steuereintreiber und deren Familien in ihren neuen Tempeln verbrannte. Ihr Name bedeutete »die Siege bringt« – wäre sie Römerin gewesen, hätte man sie
vielleicht »Victoria« genannt. Braint hatte recht damit gehabt, dachte Agrippina, dass es eine Frau brauchte, um den Römern einen echten Kampf zu liefern. Boudiccas Vision reichte jedoch nicht über Zerstörung hinaus, sie schaffte es nicht, ihre Energien auf militärische Ziele zu konzentrieren, und am Ende stürzte sie – aber erst, nachdem Zehntausende den Tod gefunden hatten und die römische Macht über Britannien einen Augenblick lang ins Wanken geraten war.
Nach Nero entwickelte sich ein blutiger Kampf um die kaiserliche Thronfolge, und schließlich brach ein Bürgerkrieg zwischen rivalisierenden Anwärtern aus. Für Agrippina war es eine schreckliche Zeit, ein Rückfall in die Tage Julius Caesars, als starke Männer mit Unterstützung privater Truppen um die Macht gerungen hatten. Tatsächlich ging das noch junge Imperium beinahe daran zugrunde. Die Krise wurde erst überwunden, als ein alter Bekannter Agrippinas, Vespasian, aus dem Ruhestand zurückkam und der dritte Kaiser binnen eines Jahres wurde. Mit der Tüchtigkeit und Erbarmungslosigkeit, die er in Britannien an den Tag gelegt hatte, stellte er bald die Ordnung in Rom wieder her.
Zur gleichen Zeit gelangte Agrippinas Volksstamm – die von Rom immer noch unabhängigen Briganten – unter Cartimandua, die Cunobelin von den Catuvellaunen nachzueifern schien, durch den Handel mit der neuen Provinz im Süden zu Wohlstand. Die Kultur blühte auf, wie sie an den Briefen merkte, die sie aus der Heimat erhielt, die Literatur, die Musik, die
Kunst und die Bildung. Aber das weitläufige Brigantien war nach wie vor nur ein loser, schwer zu kontrollierender Verbund, und als sogar der Gemahl der Königin, Venutius, widerspenstig wurde, drang das Unbehagen über Cartimanduas römische Politik bis in ihr eigenes Schlafzimmer vor. Am Ende ließ sich Cartimandua auf eine leichtsinnige Affäre mit dem Schildknappen ihres Mannes ein, und Venutius’ Zorn löste einen Bürgerkrieg aus.
Unter Vespasians starken Statthaltern retteten die Römer Cartimandua, rückten dann endgültig in Brigantien ein und fesselten es mit einem Netz von Festungen und Straßen. In Agrippinas altem Geburtsort Eburacum richteten sie eine Legionärsfestung ein. Anschließend – eine Generation nach ihrer Landung im Südosten Britanniens – drangen die Römer noch weiter nach Norden vor, ins neblige Hochland Caledoniens.
In all diesen Wirren verlor Agrippinas Familie sämtliche männlichen Angehörigen, sodass es keine Erben mehr gab und sie im Alter von fünfzig Jahren unerwartet einen Mehrheitsanteil am Steinbruchunternehmen der Familie erhielt. Agrippina hatte kein Interesse daran, es selbst zu leiten – aber Cunedda hatte einen Sohn gehabt, der in Camulodunum geboren war. Durch einen Briefwechsel übertrug sie ihm ihren Anteil, eine letzte Geste an einen längst verstorbenen Geliebten.
Unter der feierlichen Ruhe von Vespasians Regentschaft wachte Agrippina über ihre heranwachsenden Kinder. Sie unternahm sporadische Versuche, Nectovelins
Prophezeiung zurückzubekommen, die Claudius in der Gruft der Sibyllinischen Orakel abgelegt hatte, aber diese führten zu nichts. Und obwohl sie ihre Töchter zu starken, jungen Römerinnen formte, verschwieg sie ihnen nicht, woher sie eigentlich stammten. Sie erzählte ihnen lange Geschichten aus ihrer eigenen Kindheit über ihre brigantischen Vorväter, die bereits zu einer Zeit mit Bronze und Stein geherrscht hatten, als Roms sieben Hügel nur von Schafen beherrscht worden waren.
Doch ihr Körper ließ sie im Stich. Ein quälender Husten wurde immer schlimmer, bis sie eines Morgens erwachte und feststellte, dass sie Blut gespuckt hatte.
Sie regelte ihre geschäftlichen Angelegenheiten, so gut es ging, zugunsten ihres trauernden, hilflosen Gemahls. Ihre Töchter, beide Anfang zwanzig, waren zu stolzen, starken, gut erzogenen und ausgebildeten Römerinnen herangewachsen, und sie machte sich wenig Sorgen um sie. Mit fünfzig sei man nun wirklich nicht mehr zu jung zum Sterben,
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