Imperator
erscheinen.
Einen Atemzug lang ruhte Hadrians Blick auf Brigonius. Ein Aufblitzen in seinen Augen mochte bedeuten, dass er ihn wiedererkannte; vielleicht erinnerte er sich an ihn von der Ansprache in Rutupiae. Nun betrachtete er Brigonius eingehender, seinen Hals, den Rumpf, die nackten Beine.
Brigonius, dessen Blut noch heiß war von der Stunde, die er mit Lepidina verbracht hatte, wandte sich ab. Auch dies gehörte zu den Dingen, die jeder über Hadrian wusste. In Brigantien waren homosexuelle Liebschaften nicht unbekannt, aber ungewöhnlich. Bei den Römern kamen sie häufiger vor – aber es war nicht Hadrians Sexualität, sondern seine Leidenschaft, die für Gerede sorgte. Ein ernst zu nehmender Mann sollte nicht allzu viel Energie auf seine Bettwärmer verschwenden.
Und nun bemerkte Brigonius, dass auch Primigenius’ Blick auf ihm ruhte – dieses totenbleiche Gesicht,
die schwarz geränderten Augen, die Lippen scharlachrot wie eine Wunde. Konnte es sein, dass dieser ausgezehrte ehemalige Sklave ei fersüchtig war? Brigonius unterdrückte einen Schauder.
Endlich kam Xander zum Thema. Seine Sklaven zogen das Tuch weg, mit dem sein Modell abgedeckt war. Die Höflinge beugten sich alle vor, um sich die bemalten Hügel, die glänzenden Flussbänder und die hervorragend gearbeiteten Kastelle und Türme anzusehen. Die kunstvollen Einzelheiten lösten kindliche Freude in ihren stark geschminkten Gesichtern aus.
Xander beschrieb, welchen Verlauf der mächtige Wall seinem Vorschlag zufolge nehmen sollte. Der Ausgangspunkt würde im Osten liegen, bei einem kleinen Kastell namens Segedunum. Er würde den Fluss Tinea überqueren und dann nach Westen in höher gelegenes Gelände ansteigen. Bergspitzen und ein natürlicher Steilhang aus Basaltklippen sollten in die neue Grenze einbezogen werden. »Es wird so aussehen«, verkündete Xander, »als wäre der Wall direkt aus dem Gestein entsprungen!« Danach würde er noch einen Fluss überspannen, anschließend einen weniger dramatischen Verlauf durch weiteres zerklüftetes Land nehmen, zu guter Letzt eine Ebene überqueren und sich seinem Ziel an der Westküste nähern. Die Gesamtlänge, erklärte der Architekt, werde rund einundsiebzig Meilen betragen, die von Anfang bis Ende von einer fünfzehn Fuß hohen Steinmauer beherrscht würden. Nicht nur das, eine Erdaufschüttung und ein Graben vor der Nordseite des Walls böten weiteren Schutz.
Zudem seien im Abstand von jeweils einer Meile kleine Festungen in den Wall integriert, mit jeweils zwei Türmen zwischen jedem solchen Paar von Meilen-Kastellen, die als Signal- und Sammelstellen dienen sollten. In jedem Meilen-Kastell gebe es Tore, sodass der Wall so durchlässig oder geschlossen sein könne, wie die lokalen Befehlshaber es wünschten.
Es bestand kein Zweifel, dass der Wall ein prächtiges Bauwerk werden würde, und Brigonius sah, dass Hadrian und mehrere seiner Höflinge sofort von Xander, seinem schönen Modell und der bezwingenden Vision eingenommen waren. Doch andere erhoben Einwände.
Als Erster ergriff Aulus Platorius Nepos das Wort, Britanniens neuer Statthalter. Er sprach einige praktische Aspekte beim Bau dieses Monuments an. Unter Hadrian gab es in Britannien drei Legionen und fünfundsechzig Hilfstruppen, alles in allem rund dreiundfünfzigtausend Mann. Alle drei Legionen würden für den Bau des Walls eingesetzt werden – rund fünfzehntausend Mann. Nepos machte eine Handbewegung, die das gesamte Modell umfasste. »Aber das alles muss spätestens in drei Jahren fertig sein. Darum frage ich dich: Bist du dir deiner Berechnungen sicher? Ist das in dieser Zeit mit den verfügbaren Arbeitskräften machbar?«
Brigonius glaubte zu verstehen, warum die Bauzeit nur drei Jahre betragen durfte; die Amtsperiode eines Statthalters war für gewöhnlich nicht länger, und Nepos würde den Wall gewiss noch vor seiner Abberufung
vollendet sehen wollen. Xander wirkte jedoch schockiert, als er von dieser zeitlichen Begrenzung hörte; sein Mund öffnete und schloss sich. Dann gewann er die Fassung wieder und antwortete, ohne sich einschüchtern zu lassen, mit klarer und deutlicher Stimme. »Wir Griechen sind berühmt für unsere Rechenkünste. Ich kann dir versichern, Herr, dass meine Berechnungen zutreffend sind.«
Der nächste Angriff auf den Vorschlag kam von einem Legaten, dem Kommandeur einer der drei gegenwärtig in Britannien stationierten Legionen. Er sprach von der unter Trajan bereits eingerichteten
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