Implantiert
Maul. Tim Feely presste mit dem Knie den großen Hals der Kuh nach unten. Er hielt ein kleines Medizinfläschchen hoch und versuchte, die Nadel einer Spritze hineinzuführen. Helles Blut bedeckte seine Jackenärmel.
Sara rannte zu ihnen. Wenn die Kühe standen, hatten sie in ihren Boxen ausreichend Platz, doch wenn sie flach am Boden lagen, fast überhaupt keinen. Die Kuh lag auf der rechten Seite, ihre Beine zeigten in Richtung Flugzeugbug. Blut drang aus dem aufgerissenen Bauch der Kuh. Vom Euter bis fast hinauf zum Brustbein verlief ein ausgefranster, nass glänzender Spalt. Ein kleiner blutiger krallenbewehrter Fuß hing aus dem Spalt. Er hüpfte leicht auf und ab im Takt mit den Zuckungen der Kuh. Die Föten. Die Raubtierföten. Heilige Scheiße … bis zu diesem Augenblick war ihr das alles nie real vorgekommen. Wenn es bei den Kühen zur Geburt kam, waren die Föten dann gefährlich? Nein, selbst
wenn sie in diesem Augenblick geboren werden sollten. Sie waren immer noch Babys.
Die Brust der Kuh hob und senkte sich arhythmisch. Ein Riss in der Wand ihrer Box erzählte die ganze Geschichte – der Riss befand sich genau dort, wo die Verankerung des Geschirrs hätte sein sollen. Der unruhige Flug hatte die Kuh so sehr hin und her geschleudert, dass sich die Verankerung gelöst hatte und die Kuh gestürzt war. Der heftige Aufschlag hatte den durch die Schwangerschaft weit vorgewölbten Bauch aufgerissen.
An der Tür der Box war ein Blatt Papier befestigt, auf das Jian mit Magic Marker einen Namen geschrieben hatte. Der Name lautete MISS PATTY MELT. Sara spürte den Verlust ihrer ermordeten Freundin wie einen körperlichen Schmerz.
Tim versuchte wieder und wieder, die Nadel in das kleine Medizinfläschchen zu schieben. Die C-5 schwankte und zitterte noch immer unter den Nachwirkungen des Sturms, doch die Maschine flog nicht so unruhig, als dass Tim solche Schwierigkeiten hätte haben müssen.
»Tim«, sagte Sara, »brauchen Sie Hilfe dabei?«
»Das schaffe ich schon.« Seine Aussprache war undeutlich.
Sara sah hinunter zu Cappy, dessen Lippen stumm die Worte er ist betrunken formten.
Na wunderbar. Großartiges Timing, Tim.
Endlich gelang es ihm, die Nadel einzuführen. Er zog den Kolben zurück. Die Spritze füllte sich mit einer gelben Flüssigkeit. Er schob das Fläschchen in die Tasche, schnippte ein paarmal mit dem Finger gegen die Spritze und drückte dann versuchsweise auf den Kolben. Flüssigkeit schoss aus der Nadel.
»Halten Sie sie fest«, sagte Tim, und erhöhte den Druck
seines Knies auf den Hals der Kuh. Sara beugte sich neben Cappy nach unten und legte ihre Hände auf den Kopf des Tiers. Schon ein halbherziges Zucken der Kuh verriet ihre gewaltige Kraft.
Tim griff nach dem Infusionsschlauch, der noch immer im Hals der Kuh steckte. Er schob die Nadel in das Verbindungsstück des Schlauchs und drückte den Kolben der Spritze ganz durch. Das Zucken der Kuh wurde schwächer und hörte schließlich ganz auf.
Sara musterte Tim. Der Mann bewegte sich nicht und atmete nicht – er starrte einfach nur die Kuh an. Ein paar Sekunden später zeigte seine Miene große Erleichterung.
Tim stand auf und stieß langsam und mit aufgeblähten Wangen die Luft aus. »Gut. Es wird Zeit für einen Drink. Ich hab mir doch tatsächlich einen Augenblick lang Sorgen – «
Mit einer Art ohrenzerreißendem Blöken kam plötzlich wieder Leben in die Kuh. Ein Vorderhuf schlug aus und traf Tims rechtes Knie. Die Bewegung war so schnell und so heftig, dass sie Tim von den Beinen riss. Er stürzte. Die Füße Richtung Gang, fiel er mit dem Oberkörper in die Box und rutschte über den blutigen aufgerissenen Bauch der Kuh.
Sara wich dem tretenden Huf aus, schob den linken Arm in die Box und packte Tims Hand. Sie zog, und Tim versuchte, sich wieder hochzurappeln, doch das Vorderbein der Kuh schoss in einer wilden Bewegung nach hinten, und die scharfe Kante des Hufs streifte Tims Stirn. Sein Kopf wurde nach hinten gerissen, sofort strömte Blut aus seiner Kopfhaut und legte sich wie ein dünnes Tuch über sein Gesicht. Sara klammerte sich mit der rechten Hand an der Wand der Box fest, um das Gleichgewicht zu halten, während ihre linke noch immer Tims Hand umschloss.
»Cappy, hilf mir, ihn hier rauszuschaffen!«
Cappy sprang auf und packte die Trennwände zu beiden Seiten der offenen Tür. Er winkelte die Knie an und drückte dann mit den Schienbeinen die Vorderbeine der Kuh nach unten. Beinahe hätte Sara ihm zu
Weitere Kostenlose Bücher