Implantiert
Sollte sie unterwegs auf Colding treffen, würde sie behaupten, dass sie vor Tim geflüchtet sei, weil er plötzlich angefangen habe, Drohungen auszustoßen, und sich verrückt verhielt. Natürlich würde diese Täuschung nicht lange anhalten, doch schon bald wären Fischer und seine Gorillas hier. Sobald Fischer eintraf, war Erika sicher. Dann konnte sie Claus alles unter die Nase reiben, und ihr früherer Geliebter würde wissen, dass sie seine ganze Arbeit vernichtet hatte. Sie starrte auf die Uhr und zählte die Sekunden mit.
Gunther Jones versuchte nicht mehr, Brady zu erreichen. Der Mann würde nicht antworten. Weil der Hangar brannte, waren die im Freien angebrachten Infrarotkameras nutzlos. Die Monitore, die zu den Flurkameras gehörten, zeigten immer noch Bilder aus einer Endlosschleife, doch er hatte gute Aufnahmen aus allen Zimmern, und die normalen Außenkameras funktionierten.
Plötzlich lieferten alle Bildschirme nur noch statisches Rauschen. Sein Computerterminal schlug sinnloserweise mit einem Piepsgeräusch Alarm.
AUSFALL KAMERASYSTEM
»Ach ja, tatsächlich?«, sagte Gunther, als er unter dem Tisch nach den Handbüchern griff.
Erika schob sich die Axt unter den Arm und sah auf die Uhr. Inzwischen war ihr Programm aktiv und hatte die Kameras außer Gefecht gesetzt. Sie musste los. Jetzt oder nie. Sie sah durch das kleine Fenster der hinteren Luftschleuse – niemand da. Sie gab 6969 in das Keypad, trat in die Schleuse und zog die Tür hinter sich zu. Der Druckausgleich dauerte nur fünf Sekunden, doch es fühlte sich wie fünf Minuten an. Gunther, Andy, Brady oder Colding konnten da drinnen überall sein; sie konnten ihr sogar von draußen gefolgt sein. Und sie hatten Waffen.
Der Fünf-Sekunden-Zyklus war abgeschlossen, die innere Tür der Luftschleuse öffnete sich mit einem Piepsen. Leise rannte Erika in das Gebäude. Sie schlug den Weg zum Bioinformatik-Labor ein. Wenn ihr Programm funktioniert hatte, war bereits alles gelaufen. Wenn Jian Gegenmaßnahmen ergriffen hatte, würde Erika den Petabyte-Speicher von Hand zerstören müssen.
Colding öffnete die vordere Luftschleuse und sah, wie die Flammen aus dem zerstörten Hangar in die Höhe schossen. Dichter Rauch trieb im Nachtwind dahin und schien die Sterne auszulöschen. Sogar aus fünfzig Metern Entfernung war die Hitze kaum zu ertragen. Er kauerte sich hinter einen Felsblock zu seiner Linken, um sich Deckung zu verschaffen, falls Tim da draußen sein sollte, und sich vor der abstrahlenden Hitze zu schützen.
Er konnte immer noch nicht begreifen, warum Tim zwei Jahre lang an dem Projekt gearbeitet hatte, warum er wirklich dazu beigetragen und für den Erfolg gearbeitet hatte, nur um sich jetzt plötzlich so zu verhalten. Colding hatte geglaubt, er kenne diesen Menschen.
»Gunther, verdammt nochmal, wo ist Tim?« Aus seinem
Ohrhörer kam statisches Rauschen. Dann die Stimme von Gunther.
»Alle Kameras sind ausgefallen. Ich kann überhaupt nichts sehen. Und Brady war im Hangar, als das Ding hochging.«
Scheiße. »Brady, bitte melden«, sagte Colding.
Niemand antwortete.
»Brady, wenn du das hören kannst, dann tipp zweimal gegen deinen Ohrhörer. Lass uns irgendwie wissen, dass du noch dran bist.«
Colding atmete dreimal langsam ein und aus, doch noch immer kam keine Nachricht. Wenn Brady den Hangar betreten hatte, war er bereits tot.
Und das machte Tim Feely zum Mörder.
Colding musste die Wissenschaftler schützen. Also musste er zuerst Tim ausschalten; erst dann konnte er Brady suchen. Eine beschissene Reihenfolge seiner Prioritäten, denn wenn Brady irgendwo zu verbluten drohte, dann konnte eine Verzögerung bei der Suche seinen Tod bedeuten. Doch Brady Giovanni wurde dafür bezahlt, sein Leben aufs Spiel zu setzen, falls es nötig sein sollte – Rhumkorff, Jian und Erika nicht.
So ruhig und so geduldig er konnte, musterte Colding die Landschaft. Er sah nichts.
Die vordere Luftschleuse öffnete sich. Colding drehte sich um und hob instinktiv seine Beretta, bereit, auf Tim zu feuern, sollte dieser eine falsche Bewegung machen. Doch nicht Tim sah sich seiner Waffe gegenüber … sondern Andy Crosthwaite.
Andy Crosthwaite, der die hintere Luftschleuse überwachen sollte.
»Motherfucker«, fluchte Colding leise, als er die Waffe senkte und sich wieder hinter den Felsblock kauerte.
Halb gebückt rannte Andy los, erreichte den Felsen und kniete sich links neben Colding. Der kleinere Mann ließ seinen Blick von vorn
Weitere Kostenlose Bücher