In alle Ewigkeit
Geschirr, keine Krümel auf den Arbeitsflächen. Über dem Küchentisch hing ein gerahmtes Plakat aus den Sechzigerjahren, das Werbung für eine Zahnpasta machte, die es nicht mehr gab. Neben dem Telefon hing ein Kalender mit einem überholten Datum. Niemand hatte die Blätter bis heute abgerissen. Ohne nachrechnen zu müssen wusste Winter, was es für ein Datum war. »Mit Jeanettes Vater ist irgendwas faul«, sagte Halders. »Wie meinst du das?«
»Oder zwischen den beiden. Irgendwas ist da komisch.«
»Könntest du dich ein bisschen konkreter ausdrücken?«
»Es gibt mehrere Punkte, in denen ihre Aussagen nicht übereinstimmen. Die Nacht, als sie nach Hause gekommen ist. Als es passiert ist.«
Winter hatte die Berichte gelesen und die Widersprüche bemerkt. Das war nichts Ungewöhnliches und brauchte nichts zu bedeuten. Es brauchte nicht zwangsläufig zu heißen, dass einer von beiden log, jedenfalls nicht bewusst.
»Ich möchte wissen, wer von beiden nicht die Wahrheit sagt«, meinte Halders. »Ich glaube, sie, und er weiß es und will nichts sagen.«
»Das ist nichts Ungewöhnliches.«
»Wir müssen sie stärker unter Druck setzen.«
»Ihn jedenfalls.« Winter trank wieder, bis die Dose leer war. »Jeanette braucht noch ein wenig Zeit zum Nachdenken. Ein bisschen Ruhe vor uns.«
»Möchte wissen, wann sie nach Hause gekommen ist«, sagte Halders. »Sie ist nicht zu dem Zeitpunkt dort angekommen, den sie uns genannt hat.« Er ging zum Kühlschrank und holte sich noch ein Bier. »Aber warum sagt Bielke nichts dazu? Ich glaube nicht, dass er geschlafen hat.«
Sie hatten einen Zeugen, der Jeanette im Morgendämmern nach Hause kommen sehen hatte, drei Stunden später als sie angegeben hatte.
»Sie ist der Schlüssel«, sagte Halders. Er sah Winter an, kam näher. »Jeanette Bielke ist der Schlüssel. Sie war irgendwo an diesem Abend und will nicht sagen, wo.«
Der Schlüssel, dachte Winter. Einer der Schlüssel. »Ihr Vater weiß es vielleicht«, sagte Halders. »Wir müssen ihn noch einmal verhören.« »Ich will ihn verhören.«
Winter sah Halders' angespannten Gesichtsausdruck. Obwohl er diesen Ausdruck an ihm kannte, war er anders als sonst. Seine private Situation war schlimmer denn je, aber gleichzeitig wirkte Halders gelassener als sonst. Als ob eine Maske von ihm abgefallen wäre. Als ob er jetzt etwas hätte, gegen das er wirklich kämpfen muss, dachte Winter. Nicht mehr die übliche zynische Schwarzseherei eines Bullen. Die Frage war, wie sich das auf Halders' Arbeit auswirken würde. Wie würde er in einer kritischen Situation reagieren? Würde er die falsche Entscheidung treffen? Eine mit katastrophalen Folgen?
Sollte er Halders vom Dienst befreien? Was war richtig? Würde sich das von selbst ergeben?
»Da ist noch was, worüber ich mir den Kopf zerbreche«, sagte Halders und setzte sich an den Küchentisch. »Setz dich auch hin!« Winter folgte der Aufforderung. »Warum wir nicht den Jungen gefunden haben, der Angelika Hansson ein Kind gemacht hat?«
»Darauf hab ich keine Antwort, Fredrik.«
»Es war eine so genannte rhetorische Frage.«
»Keiner in ihrem Freundeskreis wusste, dass sie schwanger war«, sagte Winter. »Keiner von denen, die wir bisher gefragt haben. Jedenfalls will niemand was sagen.«
»Das ist so verdammt merkwürdig.«
»Vielleicht hat sie es geheim gehalten. Vor allen.«
»Sogar vor sich selbst?«, fragte Halders.
»Vielleicht wusste sie es selbst noch nicht«, sagte Winter. »Oder hat verdrängt, dass sie schwanger war.«
»Das ist wohl ungefähr dasselbe«, sagte Halders. »Und doch gibt es ihn irgendwo. Den Vater oder wie zum Teufel man den nennen soll.«
»Irgendwem muss sie es doch erzählt haben«, sagte Winter. »Hatte sie eine beste Freundin?« »Die Eltern behaupten nein.«
»Die wissen nicht Bescheid über so was«, sagte Halders. »Eltern haben keine Ahnung, was ihre ehemaligen kleinen Kinder treiben.« Er sah Winter an. »Hab ich Recht oder nicht?«
»Du hast Recht, dass Eltern nicht immer ganz verlässliche Zeugen der Wahrheit sind«, sagte Winter und lächelte schwach.
»Scheiße, wenn wir den Jungen nicht finden«, sagte Halders. »Wir müssen ihn finden.« Er zog eine Grimasse. »Er wäre schließlich Vater geworden.«
Es war Scheiße. Winter spürte die Last des Falles, als er zurück zum Polizeipräsidium fuhr. Sie hatten alles probiert, Angelikas Freund, oder was er nun war, zu finden, aber es war ihnen nicht gelungen.
Vielleicht würden
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