In Blut geschrieben
waren die meisten Vermisstenfälle registriert worden. Folgten Caliban und die seinen dem Morris-Kanal, um ihre Opfer zu entführen? Nein, das war absurd …
Die Finger des Privatdetektivs flogen über die Tasten. Er fand mehrere Webseiten über den Morris-Kanal. Er wählte die aus, die ihm am seriösesten und detailliertesten erschien und die den ursprünglichen Verlauf des Kanals zeigte. Während er ihm auf dem Bildschirm folgte, stellte er fest, dass es keinen Zusammenhang zwischen den Entführungen und den Orten gab, die der Kanal passierte. Außerdem führte er schon seit Jahrzehnten kein Wasser mehr, war teilweise zugeschüttet worden oder hatte sich in den Wäldern verloren.
Aber warum bediente sich Bob alter Postkarten, die den Kanal zeigten? Und wo hatte er sie sich besorgt? In einem Museum? Arbeitete er dort?
Brolin, der zunächst gedacht hatte, er müsse Malicia Bents finden, um Bob auf die Spur zu kommen, wurde klar, dass es genau umgekehrt war.
Er suchte weiter unter dem Stichwort »Museum« und stieß auf eine Seite, auf der erklärt wurde, dass das Morris-Canal-Museum bedauerlicherweise vor vier Jahren aus Geldmangel seine Tore hätte schließen müssen. Das alte Gebäude mitsamt seinen Exponaten, die nur in den Augen sehr weniger Sammler einen Wert darstellten, habe nach einer Versteigerung den Eigentümer gewechselt und sei nun im Besitz von …
Brolin traute seinen Augen nicht, als er den Namen des neuen Besitzers las.
Sofort stellte er sich das Schlimmste vor.
Annabel war in Lebensgefahr.
69
Alle Lichter waren mit einem Schlag erloschen.
Annabel seufzte genervt.
»Jack, das ist nicht der richtige Augenblick …«
Eigentlich war das gar nicht sein Stil, und mit einem Mal hatte sie ein ungutes Gefühl.
»Jack?«, rief sie, ohne die Stimme zu heben.
Sie hörte nichts als das Knacken des Holzes.
»He, Jack!«
Diesmal klang sie schon nicht mehr so ruhig.
»Sheriff Murdoch? Sind Sie da?«
Was hatte das zu bedeuten? Warum dieses Dunkel?
Wahrscheinlich ein Kurzschluss, reg dich nicht auf.
Aber warum antwortet niemand?
Annabel war kurz davor, die Waffe zu ziehen, fand es aber gleichzeitig albern, so in Panik zu geraten.
»Ist da jemand?«
Mist, warum antworten sie nicht?
Trotzdem ein komischer Zufall. Sie teilte ihnen mit, dass Bobs Verhaftung unmittelbar bevorstand und dass es eine vierte Person hinter all dem gab, noch dazu ein Cop, und plötzlich waren sie wie vom Erdboden verschluckt …
Ein Cop …
O nein! Das ist wirklich nicht der Moment, paranoid zu werden!
Trotzdem sprachen die Fakten für sich.
Und warum nicht? Viele Entführungen im Umkreis von Phillipsburg, und Sheriff Murdoch war ein Cop. Und …
Plötzlich hatte Annabel die ganze Geschichte wieder vor Augen.
Wie alles angefangen hatte.
Jack war an diesem Abend eigentlich nicht mehr im Dienst gewesen. Er hatte den Anruf mitbekommen – das nackte skalpierte Mädchen, das im Prospect Park gefunden worden war und er hatte darauf bestanden, die Ermittlungen zu übernehmen. »Ein Entführungsfall für Annabel«, hatte er gesagt.
Und wenn …
Das war undenkbar.
Und doch … Jack lebte allein, er hatte vorgegeben, den Abend, an dem man in ihre Wohnung eingedrungen war, mit einer Frau verbracht zu haben. Außerdem war er ein Theaterfreak – wie war es da möglich, dass er den Zusammenhang zwischen Shakespeares Sturm und Caliban nicht hergestellt hatte? Vielleicht hatte er’s ja absichtlich getan, damit niemand darauf kam. Er war clever genug, das alles auszuhecken. Und genau genommen wusste sie gar nicht, was er in seiner Freizeit tat – Jack behauptete, er würde viel lesen, ins Theater oder spazieren gehen … Stimmte das wirklich? Und dann seine verbissene Sturheit, immer alles aus der Nähe verfolgen zu wollen, und seine strikte Weigerung, den Fall dem FBI zu überlassen. Er erzählte ihr oft von seinem Haus auf dem Land, wo war das noch? Ach ja, in Connecticut, aber sie war noch nie da gewesen und auch keiner ihrer Kollegen. Thayer lebte sehr zurückgezogen, vielleicht hatte er ja gelogen. Dieses Haus konnte auch in der Nähe von Phillipsburg liegen, das war näher als Connecticut, er konnte am Wochenende hinfahren, sogar abends während der Woche.
Nein, das ist unmöglich, nicht Thayer!
Sie hörte ein Stoffrascheln in ihrem Rücken.
Annabel schnellte herum, die Hand an ihrem Halfter.
Ihre Finger lösten den Verschluss und legten sich um den Pistolenkolben, als sie den Schatten auf sich zukommen sah.
Sie
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