in China
Ausnahme von John Sebastian Farrell, dachte sie und mußte lachen. Der bemäntelt seine eigene Persönlichkeit nur mit immer neuen Schichten, um sich dahinter zu verbergen und die Leute abzulenken.
Sie lächelte noch immer, weil sie immer noch an Farrell denken mußte. Da hielten sie vor dem Kaufhaus.
»Ist das ein richtiges Kaufhaus?« erkundigte sich Jenny voller Skepsis.
Ja, es sei ein richtiges, versicherte ihr Mr. Li. Die Chinesen pflegten dort zu kaufen. »Sie nehmen auch Ihre Devisenscheine. Sie haben vierzig Minuten Zeit, um sich umzusehen.«
»Nur vierzig Minuten?« jammerte Jenny. »In der kurzen Zeit soll ich eine Mao-Jacke und eine Mao-Mütze finden? Peter sucht das gleiche. Ach ja, und auch Joe«, fugte sie hinzu.
»Miß Bai, was meinen Sie dazu?«
Miß Bai nickte. »Ich werde sie begleiten.«
»Sonst noch jemand, der dringend etwas braucht?«
Niemand meldete sich. Kaum hatten sie das Kaufhaus betreten, als sie sich auch schon in alle Richtungen treiben ließen. Das riesige, hohe Erdgeschoß erschien Mrs. Pollifax merkwürdig leer. Sie fand das sehr verwirrend; denn an allen Theken drängten sich die Menschen. Sie ertappte sich dabei, wie sie dieses Kaufhaus in China mit amerikanischen Kaufhäusern verglich, wo alles bunt und ständig in Bewegung war und die Auslagen glitzerten. Reumütig ging sie in sich. Sie wandte sich nach rechts und ging durch die breiten, staubigen Gänge.
Wie sie sich nach Farben sehnte, die das ewig gleiche trübe Grün und Grau und Blau ein wenig belebten. Ganz plötzlich blieb sie stehen - vor einer Wand angelangt, die förmlich zu leuchten schien.
»Bücher«, flüsterte sie verzückt. Die Bücher waren nebeneinander an der Wand aufgereiht, so daß die Schutzumschläge wie Blumen erblühten. Mit verklärtem Blick ging sie auf die Bücher zu. Die Chinesen traten beiseite, um sie durchzulassen. »Xiexie«, sagte sie gerührt und trat ganz dicht an die Bücher heran.
Da sie Ausländerin war, kam der Verkäufer sofort lächelnd auf sie zugeeilt. Ich kaufe eins, ich kaufe mir ein Buch als Souvenir, dachte Mrs. Pollifax. Sie wies auf ein Buch mit einem Schutzumschlag, der sich dadurch von den anderen unterschied, daß weder ein Soldat noch ein Junge oder Mädchen darauf abgebildet war. »Das da«, sagte sie, von dem Muster angezogen: schwarzweiße Linien, gelb und scharlachrot gesprenkelt. Der Verkäufer hatte anscheinend nicht begriffen, welches Buch sie meinte; denn er zog ein Buch mit
cremefarbenem Einband aus dem Regal, das neben dem von ihr ausgewählten gestanden hatte, und drückte es ihr in die Hand.
»Nein«, sagte Mrs. Pollifax höflich, »nein, das ist es nicht.«
Sie schüttelte den Kopf, warf einen Blick auf das Buch und schlug es auf. Landkarten, nichts als Landkarten. Ein Taschenatlas von China. Städtenamen, Flüsse und Gebirge - alles in chinesischen Schriftzeichen angegeben, kein einziges Wort englisch. Völlig unverständlich, es hatte keinen Sinn für sie. Andererseits wäre das ein hübsches Souvenir für ihren Enkel.
Ihm würde dieses Buch gefallen. »Ich nehme es doch«, sagte sie. »Und dann möchte ich auc h noch...« Wieder wies sie auf das Buch mit dem interessanten Schutzumschlag, das ihr gleich so gut gefallen hatte. Der Verkäufer nahm mehrere Bücher auf und legte sie wieder weg, bevor er das richtige fand. Es stellte sich heraus, daß es ein chinesisches Kochbuch war, mit herrlichen Farbfotos ausgestattet.
»Ich nehme diese beiden«, sagte Mrs. Pollifax, hielt den Daumen und den Zeigefinger hoch und lächelte. Sie griff in ihre Tasche, und die Menge rückte näher, während sie mit dem Verkäufer unter ihrem chinesischen Geld nach den Yüan suchte, die sie für das Kochbuch und den kleinen Taschenatlas zahlen mußte. Plötzlich schrak sie zusammen. Ein Gedanke durchzuckte sie: Landkarten! Sie nahm den Atlas zur Hand und betrachtete den abwaschbaren cremefarbenen Einband. Sie schlug ihn auf, diesesmal ganz zielbewußt. Die erste Seite zeigte eine Landkarte von ganz China, jede Provinz war in einer anderen Farbe dargestellt. Das Autonome Gebiet Sinkiang erkannte sie an seiner Größe und seiner Lage ganz im Nordwesten des Landes. Nachdem sie sich die Form von Sinkiang eingeprägt hatte, blätterte sie weiter, bis sie auf Seite achtunddreißig die gleiche Form entdeckte. Das mußte also auch Sinkiang sein.
Das bedeutet, dachte sie verblüfft, daß ich tatsächlich eine Karte der Provinz Sinkiang vor mir habe, auf der alles eingetragen
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