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in China

in China

Titel: in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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an der sie das Volkshotel vermutet hatten.
    Doch weit und breit war kein Hotel zu sehen. Dafür eine in Schweigen gehüllte wogende Menschenmenge mitten auf der Straße. Man hörte nichts als das Schlurfen vieler Füße. Autos waren nicht zu sehen. Sie gingen weiter, fanden aber ihr Hotel nicht. Die Menschen sahen sie neugierig an. Manche blickten sich nach ihnen um und starrten ihnen nach.
    »Na, wo bleibt Ihr Richtungssinn?« wandte sich Mrs. Pollifax an Jenny.
    »Warten Sie's nur ab«, erwiderte Jenny, doch schon im nächsten Augenblick strafte sie sich Lügen; denn sie blieb stehen und fragte einen jungen Mann: »Sprechen Sie englisch?« Er lächelte, schüttelte den Kopf und eilte weiter. Auch sie setzten sich wieder in Bewegung, doch nach drei weiteren Blocks war Mrs. Pollifax nicht nur skeptisch, ihre Skepsis war nackter Panik gewichen. Sie fand, daß es langsam an der Zeit war, sich der Zeichensprache zu bedienen. Sie hielt zwei Männer an, legte die Hände wie zum Beten aufeinander, bettete den Kopf darauf in der Hoffnung, daß das auch für die Männer ›schlafen‹ signalisierte.
    »Hotel?« fragte sie. »Hotel?«
    Die beiden Männer nickten eifrig und wiesen geradeaus. »Xiexie«, sagte Mrs. Pollifax und verneigte sich. Sie gingen eine ganze Weile. Noch immer kein Hotel. Mrs. Pollifax sah sich schon in einer Toreinfahrt nächtigen. Sie sah in enge Gäßche n und geheimnisvolle Gänge, die zu hölzernen Toren führten. Sie fragte sich, wie lange ein Tourist wohl in Xian herumirren konnte. Sie wünschte sich sehnlichst ein richtiges Bett.
    Da meldete sich Iris zu Wort. »Ich sehe weit und breit nichts, was auch nur entfernt an ein Hotel erinnert. Nun lassen Sie mich mal machen.«
    »Aber ich bin bekannt für meinen guten Richtungssinn«, jammerte Jenny.
    »Der muß Ihnen in China abhanden gekommen sein«, meinte Mrs. Pollifax.
    »Hotel?« fragte Iris, nachdem sie drei Männer angehalten und ihnen, wie schon Mrs. Pollifax, zu verstehen gegeben hatte, daß sie dort zu schlafen gedachten. Augenblicklich scharten sich die Menschen um sie. Ringsum Gesichter, die im Dunkeln kaum mehr zu erkennen waren und schon fast gespenstisch wirkten. Die Chinesen staunten über Iris' Körpergröße. Einige Frauen kicherten und flüsterten hinter der vorgehaltenen Hand. Bald waren sie ein richtiger Trupp, angeführt von einem Dutzend junger Männer, die sie noch ein Stückchen weiter eskortierten. Dann blieben sie stehen, lächelten und murmelten ›Hotel‹. Und tatsächlich -
    endlich standen sie vor ihrem Hotel mit dem Wachposten vor dem festverschlossenen Tor.
    Sie bedankten sich überschwenglich und verneigten sich lächelnd, und die Chinesen taten es ihnen gleich. Sie gingen durch die verlassene Hotelhalle die Treppe hinauf. Mrs. Pollifax betrat ihr winziges Zimmer mit dem glucksenden Ventilator. Die Luft war noch immer sehr stickig. Die Temperatur war wohl kaum gefallen. Die 25-Watt-Birne an der Decke verbreitete ein jämmerlich trübes Licht. Sie kniete sich vor ihren Koffer, schloß ihn auf und legte ihre Kamera wieder hinein, die sie auf den Spaziergang mitgenommen hatte. Plötzlich erstarrte sie mitten in der Bewegung. Während sie fort war, war ihr Koffer aufgebrochen und durchwühlt worden. Sie hatte sich schon vor langer Zeit ein ganz bestimmtes ausgeklügeltes System des Kofferpackens angewöhnt. Und das nicht nur aus praktischen Gründen. Auch wenn sie keinen Anlaß hatte, auf der Hut zu sein, packte sie ihren Koffer ganz automatisch auf diese ganz spezielle Art und Weise. Sie hätte nicht geglaubt, daß sie auf dieser Reise Vorsicht walten lassen mußte. Offenbar war sie einem Irrtum erlegen. ›Aufgebrochen‹ war nicht ganz der richtige Ausdruck. Ihr Koffer war fachmännisch geöffnet und ganz professionell und diskret durchsucht worden. Aber wer das auch gewesen war, von ihrer Art des Kofferpackens konnte er unmöglich gewußt haben. Als sie ihren Fotoapparat nach dem Abendessen aus dem Koffer genommen hatte, lag die Hose ihr es grellroten Schlafanzugs wie gewöhnlich unter dem Schlafanzugoberteil. Alles ordentlich gefaltet. Und am allerwichtigsten - Kamm und Zahnbürste in den Falten verborgen. Jetzt lag die Schlafanzughose zuoberst. Kamm und Zahnbürste hatten sich irgendwo im Koffer verkrümelt.
    Also, das ist wirklich ein starkes Stück, dachte Mrs. Pollifax. Sie setzte sich auf den Boden.
    Ich muß schon sagen, damit hätte ich nicht gerechnet. Wer kann das bloß gewesen sein, fragte sie sich. Sie

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