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in China

in China

Titel: in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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noch mal gutgegangen. Allmählich wird die Sache kompliziert. Ich habe bereits angefangen, in Chinesisch zu denken, und ich hätte im Beisein von Iris fast chinesisch gesprochen. Als er dann im Bus an Mrs. Pollifax vorbeikam, die schon Platz genommen hatte, blickte sie auf.
    Ihre Blicke trafen sich, und sie zwinkerte ihm zu. Er grinste und fühlte sich augenblicklich besser. Eine außerordentliche, ganz ungewöhnliche Frau, dachte er und setzte sich auf einen Fensterplatz ganz in ihrer Nähe. Er ertappte sich dabei, daß er wünschte, sie könnte ihn in der Nacht begleiten. Er hatte vor, in der kommenden Nacht dem Flußlauf bis zum Arbeitslager zu folgen. Sie hat mein Herz im Sturm erobert, mußte er sich sagen. Und so was muß ausgerechnet mir passieren, dem hartnäckigsten Einzelgänger, den man sich vorstellen kann.
    Er konnte sic h gar nicht erklären, woran es eigentlich lag, daß er sich so zu ihr hingezogen fühlte. Da ihm nichts Besseres einfiel, redete er sich schließlich ein, es müsse ihr Instinkt sein, der sie stets das Richtige tun ließ trotz ihrer Unschuld und Harmlosigkeit. Nein, das war es nicht. Er hatte einfach das Gefühl, daß zwischen ihnen eine gewisse Seelenverwandtschaft bestand. Er fühlte sich sehr wohl in ihrer Gesellschaft, und darüber staunte er.
    Beim Abendessen gähnte Peter mit voller Absicht immer wieder. Selbst das war schon reichlich ermüdend; schließlich mußte er sich durch zwölf Gänge gähnen. Weil sie tagsüber so viel unternommen hatten, war für den Abend nichts geplant. Für Peter war das ein Segen; denn er mußte unbedingt früh los.
    Jenny schlug vor, sich in der kleinen Halle zusammenzusetzen und noch ein wenig zu singen.
    Ihm war natürlich klar, daß das vor allem ihm galt. Doch er gähnte nur und sagte, er habe noch viel Schlaf nachzuholen.
    Kaum in seinem Zimmer angelangt, zog er sich rasch um. Er fuhr in die graue
    Baumwollhose, die er in Xian erstanden hatte, zog ein weißes Unterhemd an und schlüpfte in die billigen Plastiksandalen. Dann beugte er sich über seinen Kleidersack und entnahm ihm ein Kletterseil. Er wickelte sich das Seil um Brustkorb und Taille, dann zog er seine khakifarbene Mao-Jacke darüber, damit er nicht so unförmig aussah. Das Seil sollte schließlich niemand sehen. Er stopfte seine Joggingschuhe und die Ausweispapiere in die Jackentaschen und brachte dann die geniale Erfindung zum Vorschein, durch die seine äußeren Augenwinkel durch unsichtbare Klebestreifen hochgezogen wurden. Als er sich im Spiegel betrachtete, mußte er grinsen. Er sah genau wie die Scharen von Arbeitern aus, die er den ganzen Tag ständig gesehen hatte. Als er sich dem Überlebenstraining unterzogen hatte, war großer Wert darauf gelegt worden, daß er nicht braun wurde. Erst jetzt begriff er, warum: Er hatte bisher kaum dunkelhäutige Chinesen zu sehen bekommen. Die Gesichtsfarbe von Mr. Li und Mr. Kan war von einem milchigen Weiß wie Biskuitporzellan. Er selbst sah mit seiner bleichen Gesichtsfarbe, seinen dichten Augenbrauen und seinen Schlitzaugen Peter Fox nicht mehr ähnlich. Nichts an ihm erinnerte mehr an den jungen Amerikaner. Er war jetzt Szu Chou, wie seine Papiere besagten.
    Das Fenster seines Zimmers stand schon auf. Er stieß auch noch die Fensterläden auf und sprang mit einem Satz hinaus. Gleich darauf hatte ihn die Nacht verschluckt.
    Es ging schon auf Mitternacht zu, da stieß er durch reinen Zufall auf die Höhle. Es war erst eine Stunde her, seit er den Fluß gefunden hatte. Er war von der Straße abgegangen und dem Flußlauf gefolgt. Er hatte ihn an der einzigen Stelle durchwatet, wo er nicht so breit war. Das Gelände war so unwegsam gewesen, daß er gezwungen war, seine Taschenlampe
    anzuknipsen. Das behagte ihm zwar nicht, doch die Gegend schien völlig menschenleer zu sein. Seit er von Urumchi fortgegangen war, war ihm auf der Straße nur ein einziger Laster begegnet. Er hatte sich rasch in einen Graben geworfen. Er wollte nicht gegen Bäume rennen und über Steine stolpern. Dadurch hätte er zuviel Zeit verloren. Er mußte einfach zuversichtlich sein und hoffen, daß diese Gegend gleichfalls unbewohnt war. Als er den Fluß durchwatet und knapp einen Kilometer gegangen war, schwoll das Rauschen des Wassers zu einem Donnergetöse an, er kam an eine jähe Biegung und stand vor einem Wasserfall. Er sah keine Möglichkeit, den Fluß zu überqueren und richtete den Strahl seiner Taschenlampe auf den Wasserfall. Er war schätzungsweise zehn

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