in China
Westen auf den Weg gemacht und soll bis zu den Kunlun-Bergen vorgedrungen sein, die die Grenze zwischen Khotan und Tibet bilden. Und dort soll er der ›Mutter-Königin des Westens‹ begegnet sein, wohl so eine Art Königin von Saba, die dieses sonderbare Land auf dem Dach der Welt regierte. Er wurde mit Freuden aufgenommen und wahrhaft fürstlich bewirtet. Später hat er dann Geschichten erzählt, die zu Sagen und Mythen geworden sind wie die Epen von Homer. Allerdings«, fügte er lächelnd hinzu, »hat man ja von vielen Erzählungen Homers geglaubt, sie seien Mythen, bis sie sich als wahr erwiesen. Wer weiß, vielleicht ergeht es uns ebenso!«
»Ein Shangrila«, flüsterte Mrs. Pollifax mit glänzenden Augen. »Unbeschreiblich schön!«
»Es kann natürlich auch ein jämmerliches schmutziges Bergnest voller Ungeziefer gewesen sein«, dämpfte er ihre Freude.
»Bitte, bitte nicht«, flehte sie ihn an. »Ich bestehe auf einem Shangrila.«
»Aber Mrs. Pollifax, Sie sind ja richtig romantisch veranlagt.«
»Ja, das bin ich«, pflichtete sie ihm freudig bei, »und ich bin froh darüber. Aber Sie sind auch ein Romantiker, geben Sie es zu!«
»Ich bekenne mich schuldig«, feixte er mit jungenhaftem Grinsen. »Aber jetzt mal Spaß beiseite und Schluß mit den Legenden - es stimmt natürlich, daß es viel schwieriger und rauher sein kann, das Tarim-Becken und die Wüste zu umge hen; aber wir können nachts auf Eseln reiten, den Menschen fast völlig aus dem Wege gehen und unser Reisetempo selbst bestimmen. Und irgendwo in den Bergen ist ein meteorologisches Team aus England. Es ist doch immerhin möglich, daß wir auf diese Leute stoßen.«
»Ja, ganz sicher. Wie Sie auch auf den Geist der ›Mutter-Königin des Westens‹ stoßen werden.« Sie nickte gedankenverloren. »Sobald Sie das zur Sprache brachten, wußte ich natürlich, daß nicht die geringste Hoffnung besteht, Sie von Ihrem Vorhaben abzubringen.
Eine britische Wetterexpedition klingt ja auch sehr überzeugend.«
»Wenn wir sie finden«, wandte er höflich ein.
»Ja, wenn«, erwiderte sie ebenso höflich. Es erschien ihr plötzlich ganz unwirklich, hier zu sitzen, auf einen staubigen Durchgang mit Verschlagen, auf Werkzeug und Karren zu blicken und mit Peter über einen Spaziergang von etwa tausend Kilometern zu sprechen, der über Bergpässe in einem Gebirge führen sollte, dessen höchste Gipfel mehr als 8000 in hoch aufragten. Ich wünschte, Cyrus wäre hier, dachte sie ganz plötzlich. Sie hätte gern gewußt, ob er inzwischen in Connecticut eingetroffen war. Angesichts der Zeitverschiebung war das wirklich schwer zu sagen. Schließlich befand sie sich am anderen Ende der Welt. Aber in solchen Fragen war es mit ihrer Logik ohnehin nicht weit her. Und da sie nun einmal bei der Logik angelangt war, fragte sie sich auch gleich, warum ihr zum Weinen zumute war, wenn sie daran dachte, daß Peter in drei Tagen ›sterben‹ würde...
Iris trat völlig geistesabwesend aus der Fabrik. »Lieber Himmel«, sagte sie, ließ sich neben ihnen auf eine Stufe fallen und strich sich das Haar aus dem Gesicht.
»Wieso lieber Himmel?« erkundigte sich Mrs. Pollifax.
»Ach, ich weiß nicht. Ich hoffe nur, daß der freie Markt als nächstes auf dem Programm steht. Ich muß mir wohl sehr eingesperrt vorkommen. Was ist denn das überhaupt - hat uns das schon jemand erklärt?«
Peter erklärte lebhaft: »Ein Kokettieren mit dem Kapitalismus. Die Menschen, die in den Kommunen leben, dürfen jetzt selbst ein kleines Stück Land besitzen. Und anstatt ihre Erzeugnisse oder Tiere an die Regierung beziehungsweise an den Staat zu verkaufen, können sie sie auf dem freien Markt verkaufen und den Ertrag behalten.«
Iris riß erstaunt die Augen auf. »Aber das ist doch Kapitalismus!«
Peter grinste. »Dieses Wort sollte uns hier nicht über die Lippen kommen. Es wäre nicht sehr taktvoll. Nennen Sie es lieber Motivierung. Die Chinesen selbst sprechen von...« Er erstarrte und unterbrach sich ganz abrupt.
Fast wäre ihm ein chine sisches Wort herausgerutscht. Mrs. Pollifax warf Iris einen raschen Blick zu, um festzustellen, ob ihr etwas aufgefallen war. Doch Iris starrte nur mit ausdrucksloser Miene vor sich hin. Gleich darauf erschienen auch die anderen. Sie stiegen alle wieder in den Minibus. Peter sah Mrs. Pollifax mit einem entschuldigenden Lächeln an, als wolle er Abbitte leisten.
Während Peter sie anlächelte, durchzuckte ihn der Gedanke: Mein Gott, das ist ja gerade
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