in China
stellte in Frage, was nicht in sein Konzept paßte...
Und doch war der Mann X. Er hatte sich sein Gesicht ganz genau eingeprägt. So genau, daß er es hätte zeichnen können... die hohen Wangenknochen, das spitze Kinn, die stumpfe Nase sowie die klugen Augen und den ziemlich höhnischen Mund. Dieser Mann war unbedingt Wang Shen, und er war kaum zwei Meter von ihm entfernt.
Lieber Gott, das ist ja kaum zu glauben, dachte er. Erst die Höhle und nun das! Eine solche Chance hat man nur einmal! Ihm war ganz wirr im Kopf. Er hatte noch gar keine definitiven Pläne! Er hatte X erst später befreien wollen - nachdem er sich von der Reisegruppe abgesetzt hatte. Er konnte doch jetzt gar nichts unternehmen, dafür war es noch zu früh. Er war doch noch dabei, das Terrain zu erkunden. Schon in ein paar Stunden würde die Reisegruppe nach Turfan aufbrechen. Es war allerhöchste Zeit, sich in Marsch zu setzen und zum Hotel zurückzukehren. Die Zeit war schon so knapp geworden, daß er ohnehin den ganzen Weg im Laufschritt würde zurücklegen müssen. Eine solche Rettungsaktion konnte er sich schon gar nicht mehr leisten. Er würde zu spät kommen, und sie würden alle in der Tinte sitzen, vor allem aber Wang Shen.
›Aber du hast doch einen Unterschlupf entdeckt‹ , mahnte ihn eine innere Stimme. ›Jetzt schon in den Unterschlupf?‹ protestierte er. ›Und X dort zwei Tage einquartieren? Es ist doch möglich, daß doch noch alles schiefläuft, und ich ihn seinem Schicksal überlassen muß. Dann sitzt er da mit einer Handvoll Dörrobst und einer Tafel Schokolade. Wenn mir etwas zustößt und ich nicht mehr zu ihm kann, hat er nicht einmal Ausweispapiere.‹
Ein Wunsch durchzuckte ihn. Wenn doch Mrs. Pollifax hier wäre! Er war völlig perplex angesichts der Intensität dieses Wunsches. Er war sich so sicher gewesen, mit allem allein zurechtzukommen. Die Zusammenarbeit mit dieser Frau war ihm hirnverbrannt erschienen, und jetzt sehnte er sich danach, sie zur Seite zu haben und sich von ihr beraten zu lassen.
›Was würde sie wohl dazu sagen?‹ fragte er sich verzweifelt. ›Was würde sie an meiner Stelle tun?‹
Plötzlich fiel ihm wieder ein, mit welchen Worten sie ihm von der Begegnung mit Guo Musu berichtet hatte. »Ich hatte gar keinen Plan«, hatte sie dem Erstaunten erzählt. »Es gibt eben Augenblicke, wo man Selbstvertrauen haben muß. Es kommt ganz auf die Situation an. Wenn man sich ganz darauf einstellt, tut man ganz instinktiv das Richtige. So ein Fall ergibt sich manchmal.«
... ergibt sich manchmal... allerdings! Er war zu Tode erschöpft, zitterte vor Kälte und hatte gar nicht damit gerechnet. Doch er hatte wider Erwarten einen Unterschlupf gefunden und war jetzt durch reinen Zufall auf X gestoßen. War das nicht ein Wink des Schicksals? Großer Gott, Mrs. Pollifax ist flexibler als ich, und dabei bin ich erst zweiundzwanzig. Ihrer Worte eingedenk, faßte er einen Entschluß. Mrs. Pollifax würde einfach tun, was getan werden mußte, und das gedachte er auch zu tun. Leise rief er Wang beim Namen.
Der Mann hatte sich gerade abwenden wollen. Jetzt schrak er zusammen und blieb zögernd stehen. Seine Kameraden beugten sich in einiger Entfernung über ein kleines Feuer, von ihnen abgewandt. Peter kroch etwas aus dem Schatten der Bäume, nur gerade so viel, daß Wang ihn wahrnehmen konnte. Dann zog er sich rasch wieder zurück. Doch Wang hatte ihn gesehen. Staunen und Verwirrung zeichneten sich auf seinem Gesicht ab.
Peter streckte eine Hand aus, mit dem Daumen nach oben. Der Chinese schlurfte zu dem Baum und blieb neugierig und völlig perplex davor stehen.
»Ich weiß, daß Sie Wang Shen sind«, sagte Peter hinter dem Baum hervor.
»Wer?«
»Ebenfalls Wang Shen.«
»Zhe shi shenme? Was soll das? Wer sind Sie? Wo kommen Sie her?«
»Wo jiang Peter - Amerikaner, Meiguo ren - mit Papieren hergeschickt worden, um Sie außer Landes zu bringen. Können Sie sich jetzt sofort entschließen? Fühlen Sie sich stark genug?
Um jetzt gleich mitzukommen?«
»Sie wollen mich nur testen«, knurrte der Mann. »Lang lebe die große und einzig wahre kommunistische Partei Chinas!«
»Ta ma de«, schwor Peter. »Sie müssen sich sofort entscheiden. Ich habe ein Seil über den Fluß gespannt. Wir könnten es schaffen, bevor es richtig hell wird. Eine solche Chance bietet sich nie wieder!«
»Aber warum?« fragte der Chinese mit rauher Stimme. »Wer ist denn an mir interessiert?«
Peter erklärte voller Ungeduld:
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