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in China

in China

Titel: in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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man auch nur Atem holen kann. Er setzte sich, um seine Schuhe und Strümpfe auszuziehen. Die verbarg er zusammen mit der Taschenlampe, dem Kompaß und den Papieren unter dem Baum. Dann wand er sich das freie Ende des Seils um die Taille und ließ sich ins Wasser hinab. Sofort rissen ihn die Stromschnellen hinweg. Das eisige Wasser raubte ihm fast die Besinnung. Er bekam kaum Luft. Es war wie ein Schlag auf den Solarplexus. Die Strömung wirbelte ihn herum, und seine Atemnot wurde immer schlimmer.
    Er schlug gegen spitze Steine und wurde gegen Felsbrocken geschleudert, bis ihm alles weh tat. Doch das Seil war seine Rettung. Ein ganzes Stück weiter stromabwärts gab es einen Ruck, und er saß an dem Seil fest. Die Strömung war so stark, daß es zu reißen drohte. Doch es hielt. Er tauchte wieder auf und schnappte nach Luft. Mit fast übermenschlicher Anstrengung gelang es ihm, über den Fluß zu schwimmen. Dank des Seils konnte er nicht weiter abgetrieben werden. Er kämpfte sich mühsam vorwärts, paddelte wie ein Hund und sank schließlich erschöpft am anderen Ufer zu Boden.
    Doch das eiskalte Wasser hatte ihm andererseits auch neue Kräfte verliehen. Bald war er wieder auf den Beinen. Er schlug mit den Armen um sich und hüpfte auf der Stelle, um den Kreislauf wieder in Gang zu bringen. Das Seil noch immer um die Taille, ging er zu der Baumgruppe gegenüber von seinem Ausgangspunkt. Dort löste er die nassen Knoten mit vor Kälte starren Fingern und vertäute das Seil ganz unten am Stamm des dicksten Baumes. Er prüfte, wie straff es gespannt war. Genau richtig. Der Baum war fest verwurzelt, und das Seil hing nicht durch. Es war zwar immer noch Nacht, als er fertig war, doch der Morgen war nicht mehr fern. Fast unmerklich begann es schon zu dämmern. Alles auf der Lichtung, auf der er sich befand, nahm immer schärfere Formen an. In etwa einer Stunde würde der Morgen heraufdämmern. Er fror bis ins Mark und war zu Tode erschöpft; aber bald war er soweit, daß er alles ausgekundschaftet hatte. Dann konnte er nach Urumchi zurückeilen, und ihm blieben noch drei Tage, um seine Pläne zu verwirklichen. Er hastete über die Lichtung in den Schutz der Bäume. Plötzlich erstarrte er und spitzte die Ohren.
    Das Tosen des Wassers hinter ihm war ohrenbetäubend. Trotzdem spürte er ganz instinktiv, daß sich vor ihm irgend etwas oder irgend jemand bewegte. Als er sich mit aller Kraft darauf konzentrierte, erkannte er, daß die Bewegung von Menschen verursacht wurde. Er hörte schwaches Stimmengemurmel und das Schlurfen von Füßen. Er warf sich zu Boden und
    kroch auf die nächste Baumgruppe zu. Dort blieb er liegen und verhielt sich ganz ruhig. Von seinem Versteck aus blickte er auf eine weitere Lichtung, über die etwa ein Dutzend Männer oder mehr in schmutziger Arbeitskleidung schlurften. Noch herrschte Zwielicht, in dem sich die Männer farblos und unförmig abzeichneten. Mitten auf der Lichtung blieben sie willenlos stehen. Ein paar der Männer schleppten sich noch zu den Holzstößen und lehnten sich dagegen. Wieder andere ließen sich auf die Baumstämme sinken. Ihr Anführer oder
    Bewacher winkte weitere Männer herbei, die noch nicht zu sehen waren. Peter sah ein Streichholz aufflammen. Aus ihren noch nicht deutlich wahrzunehmenden Bewegungen
    schloß er, daß die Männer - Gefangene - rauchten, aßen oder miteinander sprachen. Ein kostbarer Augenblick der Muße, bevor es an die Arbeit ging.
    Einer der Männer sonderte sich von der Gruppe ab und kam auf die Baumgruppe
    zugeschlendert, hinter der sich Peter versteckt hatte. Peter drückte sich flach auf den Boden, als der Mann kaum zwei Meter von ihm entfernt neben einem niedrigen Busch stehenblieb und sich an seiner Hose zu schaffen machte. Er war so nah, daß Peter die ordentlich aufgenähten Flicken auf seinem fadenscheinigen Hemd genau erkennen konnte. Vom Boden hoch blickte er dem Mann ins Gesicht. Er konnte ihn deutlich erkennen. Da durchzuckte es ihn wie ein Blitz: Aber das ist ja Wang Shen! Seine Gedanken überstürzten sich. Da habe ich das Arbeitslager noch nicht einmal gefunden, und plötzlich steht X wie aus dem Boden gewachsen vor mir...
    Ungläubig starrte er den Mann an. Er konnte es nicht fassen und zitterte vor Erregung. Er wollte gar nicht, daß es X war. Er hatte einen solchen Schock, daß er sich einzureden versuchte, das könne gar nicht X sein. In seiner Panik suchte er nach Abweichungen, machte Zweifel geltend und blieb skeptisch. Er

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