in China
»Weil die Russen in Erfahrung gebracht haben, wer Sie sind.
Sie sind hinter Ihnen her. Lai bulai... kommen Sie nun mit oder nicht?«
Schweigen. Peter wartete völlig aufgelöst. Seine Freunde konnten jeden Augenblick nach ihm rufen, oder Wang rief seine Freunde und verriet ihn. Doch plötzlich kam der Mann ganz ruhig um den Baum herum und starrte ihn eindringlich an. Er unterzog ihn einer gründlichen Prüfung. Schließlich sagte er: »Sie sehen so jung aus - und so wohlgenährt.«
»Und hoffentlich auch wie ein Amerikaner. Ich habe meine Augenlider hochgeklebt.«
Der Blick des Mannes schien von weither zu kommen, als er Peter ins Gesicht sah - als rühre er an etwas, das tief in ihm begraben lag. Dann wurde sein Blick wieder scharf, er kehrte in die Wirklichkeit zurück. Er nahm die Kälte dieses verhangenen Morgens wieder wahr und lebte ganz dem Augenblick.
Unbeschreiblich trocken sagte er: »Was habe ich schon zu verlieren, da Sie mich gefunden haben und es Ihnen gelungen ist, den Fluß zu überqueren? Gehen wir!«
Gott sei Dank, dachte Peter. Nach einem kurzen Blick zurück auf die Lichtung neigte sich Wang nach vorn, um eine Wurzel näher in Augenschein zu nehmen, dann ging er in die Knie und kroch hinter den Baum. Ganz ohne Hast, mit gemessenen Bewegungen, als habe er sich lange in der Kunst geübt, mit dem Hintergrund zu verschmelzen, um nicht aufzufallen. Peter ging mit ihm zu Boden. Gemeinsam krochen sie auf die nächste Baumgruppe zu. Dort
standen sie wieder auf und rannten wie gejagt zum Fluß.
»Glauben Sie, daß Sie das schaffen werden?« fragte Peter und wies auf das Seil, das in der Morgendämmerung leuchtete.
Der klapperdürre Wang zitterte vor Kälte. » She «, sagte er und ging auf das Seil zu. Er prüfte seine Festigkeit und konnte kaum fassen, wie leicht und dünn es war. Er packte das Seil und ließ sich in das eisige Wasser gleiten. Er hangelte sich an dem Seil entlang. Immer wieder ging er unter, weil die Strömung so stark war, doch er ließ das Seil nicht los. Er zog sich ans andere Ufer, stieg aus dem Wasser, schüttelte sich und richtete sich auf.
Rasch band Peter das Seil von dem Baum auf seiner Seite des Flusses los. Er wollte keine Spuren hinterlassen. Dann knotete er sich das lose Ende des Seils wieder um die Taille.
Diesmal nahm er einen Anlauf und sprang weit ins Wasser hinein. Dadurch konnte er sein Eintauchen in die Stromschnellen besser dirigieren. Als ihn das Seil wieder nach oben zog, war das gegenüberliegende Ufer nicht mehr weit. Gleich darauf kroch er an Land und gesellte sich weiter stromaufwärts zu Wang.
»Wir können später reden«, sagte er keuchend, zog sich seine Socken an, schnallte die Sandalen zu und verstaute Joggingschuhe, Taschenlampe und den Kompaß in den Taschen seiner Mao-Jacke. »Und je schneller wir gehen, desto eher wird uns wieder warm«, fügte er hinzu. Seine Zähne schlugen aufeinander. »Ich will Ihnen nur soviel sagen: Ihre Befreiung war eigentlich erst für nächste Woche geplant und nicht für heute. Man muß auf Draht sein!«
Der Mann sah ihn scharf an, sagte aber nur: »Also gehen wir!«
Nach etwa einer Stunde erreichten sie den Unterschlupf. Bei der Suche danach hatten sie nur ein paar Minuten verloren. Peter schob die Zweige vor dem Höhleneingang beiseite und sagte: »Wang, das war das erste Wunder, und dann stand ich Ihnen ganz plötzlich von Angesicht zu Angesicht gegenüber, obwohl ich noch beschäftigt war, das Terrain zu erkunden. Das ist das größte Wunder.«
Wang kroch in den Unterschlupf und staunte. »Das ist wirklich ein Wunder.«
»Sie sind nicht so kräftig, wie ich geglaubt habe«, sagte Peter. »Sie konnten nicht rennen.«
Wang lächelte liebenswürdig. »Wir bekommen nur sehr wenig zu essen.«
Peter nickte. »Ich kann Ihnen leider auch nicht viel bieten. Sehen Sie selbst.«
Doch Wang schüttelte den Kopf. »Was Sie hier gehortet haben, ist für mich ein Festmahl. Ich habe schon lange keine Schokolade und kein Obst mehr zu sehen bekommen. Ich bin schon dazu übergegangen, mich von den Früchten des Waldes zu nähren. Darin bin ich inzwischen Experte. Könnten Sie mich jetzt über den Stand der Dinge unterrichten?«
Peter erklärte ihm rasch das Nötigste. Er hatte schon Berechnungen zu seiner eigenen Sicherheit angestellt. Sein Selbsterhaltungstrieb war mächtig. Er machte sich allmählich Sorgen, doch davon sollte Wang nichts merken. Von Urumchi bis zur Höhle hatte er vier Stunden gebraucht. Zurück nach
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