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in China

in China

Titel: in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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unerwünscht waren, hatten sie sich möglicherweise entschlossen, diese Informationen an den CIA weiterzugeben, damit die Amerikaner Wang ausfindig machen konnten. So konnte ein amerikanischer Agent nach China einreisen und das Arbeitslager aufspüren. Und wenn er Wang dann gefunden und befreit hatte... Großer Gott, dachte sie entsetzt, sind Peter und ich vielleicht auf dem besten Weg, in eine Falle zu tappen?
    Sie folgten Sheng durch enge Gassen, bogen nach links und dann nach rechts ab. Neben einem nicht mehr benutzten Bewässerungsgraben blieb er stehen. Über den Graben spannte sich eine bröcklige Brücke. Sheng führte sie unter den Brückenbogen und bat sie, sich zu setzen.
    Peter verkündete staunend: »Sheng sagt, daß er hier wohnt und schläft.«
    Sie gingen in die Hocke. Ihre Knie stießen aneinander. Sheng hatte offenbar Knoblauch gegessen, er roch furchtbar aus dem Mund und stank aus allen Poren. Er schwitzte vor Angst.
    Dieser Angstschweiß duftete auch nicht gerade angenehm. In einer Wolke von Knoblauch, Schweiß und Staub hockten sie dicht beieinander. »Aber wieso wohnt er hier?« erkundigte sich Mrs. Pollifax. »Warum hat er nicht so eine Wohneinheit wie alle anderen auch?«
    Peter fragte Sheng danach, und Sheng ließ sich ausführlich darüber aus. Während sich die Männer unterhielten, mußte Mrs. Pollifax wieder an den geheimnisvollen Doppelagenten denken, von dem Carstairs gesprochen hatte. Falls die Informationen von den Russen stammten und sie verfolgt wurden... Bei dem Gedanken, daß Peter und sie vielleicht nur Werkzeuge waren, schauderte es sie. Denn wenn ihre Theorie den Tatsachen entsprach und diese Operation in Wahrheit von den Russen geschickt gelenkt wurde, bedeutete das, daß ein Mitglied des KGB in die Reisegruppe eingeschleust worden war.
    Um sie nicht aus den Augen zu lassen. Und ihnen Wang für die Sowjets zu entreißen, sobald er befreit war. Und Carstairs ahnt nichts von alledem, dachte sie. Sie zitterte bei dem Gedanken, daß sich ihr Verdacht als begründet erweisen konnte. Er hat nicht die leiseste Ahnung, und wir haben keine Möglichkeit, uns mit ihm in Verbindung zu setzen und ihm zu sagen, daß möglicherweise... vielleicht...
    Da wandte sich Peter an sie und sagte: »Sheng hat mir erzählt, daß er sechsundzwanzig Jahre alt und ein hei len ist. Das bedeutet wörtlich übersetzt ›schwarze Person‹. Er ist nirgends registriert, hat keine Arbeit und auch keine Essensmarken. Freunde unterstützen ihn, oder er stiehlt oder verkauft irgend etwas auf dem schwarzen Markt.«
    »Großer Gott«, murmelte sie und sah Sheng mitleidig an.
    »Er sagt, daß Sie und ich sehr gute Ausweispapiere haben müssen. Sonst hätten wir es nicht gewagt, heute nacht als Chinesen verkleidet durch die Gegend zu fahren. Er möchte entweder Ihre oder meine Ausweispapiere. Er sagt, er kann sie bezahlen. Er braucht sie für die Flucht nach Hongkong.«
    Mrs. Pollifax ließ sich das durch den Kopf gehen. »Er wird uns also nicht verraten«, konstatierte sie erleichtert. »Schließlich will er etwas von uns.« Das Wort verraten versetzte ihr einen Stich. Carstairs ist von seinem Doppelagenten aufs Kreuz gelegt worden. Ein Verrat, wie er im Buche steht. Und er hat nicht die leiseste Ahnung, dachte sie. Laut fragte sie: »Wie ist es denn dazu gekommen, daß Sheng unter einer Brücke lebt und hei len ist? Er macht doch einen sehr intelligenten Eindruck. Ich kann mir das gar nicht erklären.«
    Sie mußte eine ganze Weile auf die Antwort warten. Sie beobachtete Peter - seine Gesten und den häufig wechselnden Gesichtsausdruck. Mal blickte er staunend, mal nachdenklich drein, während er Sheng zuhörte. Er runzelte die Stirn und nickte. Schließlich faßte er zusammen, was ihm Sheng soeben anvertraut hatte: »Sheng sagt, daß alles mit shangshan xiaxiang ange fangen hat, was soviel heißt wie ›die Berge hinauf und in die Dörfer hinunter‹, also Zwangsumsiedlung. Viele junge Leute sind aus der Stadt aufs Land umgesiedelt worden, um dort harte körperliche Arbeit zu verrichten. Sheng zählte zu den Leuten mit chengfen bu hao, das heißt aus schlechtem Hause. Seine Eltern waren nämlich reiche Großgrundbesitzer.
    Deshalb durfte er auch nicht auf eine gute Schulausbildung oder eine Arbeit in der Stadt hoffen. Er wurde in eine Kommune in Zentralchina verfrachtet. Die Bauern haßten diese jungen Leute aus der Stadt, die ihnen aufgezwungen wurden... Das war vor zehn Jahren, als er sechzehn war. Er fühlte

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