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In dein Herz geschrieben

Titel: In dein Herz geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Duncan Andrea Brandl
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Briefkasten zu leeren, überlegte es sich jedoch um ein Haar anders, als sie aus dem Schutz des Stellplatzes trat. Der Wind blies ihr den ganzen Weg zum Briefkasten heftig ins Gesicht und versuchte kräftig, sie ins Haus zurückzudrängen. Der Wind, den sie so liebte, hatte sich in ein Ungeheuer verwandelt. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie er sich an der Küste gebärden mochte. Große Äste waren an einigen Bäumen auf den Weiden auf der anderen Straßenseite abgerissen worden, kleinere Stämme bogen sich bis fast zum Boden durch. Gebogen, aber nicht vollends abgeknickt, dachte sie und betrachtete die dicken grauen Wolken, die am Himmel über sie hinwegzogen.
    Als sie den Briefkasten zumachte und sich zum Haus umwandte, dankbar, den Wind im Rücken zu haben, hätte sie schwören können, ihren Namen gehört zu haben. Cassandra erstarrte, lauschte, dann drehte sie sich um und ließ den Blick über die Straße schweifen. Es war aus dieser Richtung gekommen, von Osten. Es musste der Wind in den Pinien gewesen sein. Aber, nein, da war es wieder. Es konnte keine Stimme sein, weil dort niemand war. Doch es klang so vertraut. »Cassandra!« Plötzlich wusste sie es. Annie Laurie. Es war Annie Laurie.
    Cassandra hastete über die Straße, blieb vor dem Stacheldrahtzaun stehen und sah auf die Weide hinaus. Bäume, Gras,
Zaun. Kein Mensch. Selbst die Kühe waren verschwunden. »Annie Laurie?«, rief sie, obwohl sie sich wie eine Idiotin vorkam.
    Sie wartete, Ruth Anns Post fest an sich gedrückt, damit der Wind sie ihr nicht entreißen konnte. Wieder hörte sie den Ruf. Nur ihren Namen. »Cassandra!« Verlor sie den Verstand? Sie könnte schwören, dass es Annie Laurie war. Aber das war unmöglich. Eine schreckliche Angst erfasste sie und wuchs mit jeder Sekunde. Ein letztes Mal blickte sie über die Weide, ehe sie ins Haus zurückging, bemüht, Ruhe zu bewahren. Nachdem sie nach Catherine gesehen hatte, griff sie zum Hörer und wählte Mays Nummer. Sie betete darum, dass die Leitung nicht zusammengebrochen war.
    Wenn der Hurrikan sie nicht umbrachte, würde es ihr Vater tun. Und Walton. Wahrscheinlich wäre er tieftraurig wegen der Amapola . Annie Laurie drückte sich fester gegen den Baumstamm, als ein neuerlicher Windstoß an den Ästen um sie herum zerrte. Zum Glück hatte sie Sugar zu Hause gelassen. Sie hätte nicht gewusst, wie sie hätte verhindern sollen, dass er hinunterfiel oder -sprang.
    So heftig der Wind sein mochte, fürchtete sie sich nicht davor, mitgerissen zu werden. Aber was, wenn die Flut kam? Sie konnte nur bis zu einer bestimmten Höhe hinaufklettern, dann würde sie schwimmen müssen. Wie hatte sie nur zulassen können, dass das Boot davontrieb? Sie hätte schwören können, dass sie es verankert hatte. Aber vielleicht hatte das Boot zu heftig geschwankt, als sie hin und her gegangen, hinein- und wieder herausgeklettert war, so dass es in tiefere Gewässer abgetrieben war, wo die Strömung es schließlich erfasst hatte.
    Die grauen Wolken tauchten alles unterhalb der Baumwipfel in düster graues Licht, fast wie die Dämmerung. Zum ersten Mal in ihrem Leben begriff sie, wieso ihre Großmutter und May immer wissen wollten, wo sie hinging. Wieso hatte
sie niemandem Bescheid gesagt? Weil sie ihr nicht erlaubt hätten, herzukommen. Sie hätten es nicht verstanden, außerdem wollte sie nicht, dass sie von ihrem Geheimversteck erfuhren.
    Der einzige Mensch, der es kannte, war Cassandra, doch die war Hunderte Meilen entfernt in den Bergen. Könnte sie doch nur hier sein, dann wäre Annie Laurie längst wieder zu Hause, denn Cassandra wüsste, wo sie nach ihr suchen musste. Und sie würde keinem davon erzählen. Okay, sie würde es Walton oder Daddy sagen müssen, weil einer der beiden sie herbringen musste. Cassandra war nicht lange genug geblieben, um zu lernen, wie man allein mit dem Boot hinausfuhr. Aber sie würde nicht zulassen, dass sonst jemand die Insel betrat. Sie würde dafür sorgen, dass sie im Boot blieben, und allein herkommen. Zu diesem Baum. Sie würde nach oben sehen und sagen: »Annie Laurie? Zeit, nach Hause zu gehen.«
    Sie schob die Hand unter ihr T-Shirt und zog das Medaillon hervor, das Cassandra ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Das Silberherz schimmerte sogar im düsteren Licht. Sie hatte sich noch nicht entschieden, wessen Foto sie hineinstecken würde. Vor ihrer Geburtstagsparty hatte sie vorgehabt, auf der einen Seite ein Bild ihres Vaters und auf der anderen eines von ihrer

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