In dein Herz geschrieben
Mutter hineinzustecken, aber jetzt war alles ruiniert. Doch das Seltsame daran war, dass sie sich so kaputt gar nicht fühlte. Am Morgen nach der Party hatte Cassandra die Fähre genommen, während ihr Vater sich zu ihr gesetzt und ihr erklärt hatte, dass er und Mom sich scheiden lassen würden, weil ihre Mutter jemand anderen heiraten würde. Er hatte sogar gesagt, es tue ihm leid, dass er nie vorher darüber gesprochen habe, denn so hätte sie sich ganz falsche Hoffnungen gemacht. Dabei hatte er viel mitgenommener ausgesehen, als Annie Laurie sich gefühlt hatte.
Dann hatte er ihr sein Geburtstagsgeschenk überreicht. Sie hatte erwartet, dass sie etwas zum Anziehen bekäme, wie
von Oma, May und ihren Tanten, stattdessen war es ein Ring mit einem echten Peridot, ihrem Geburtsstein. Er sagte, es sei Cassandras Idee gewesen. Dreizehn zu werden sei ein großes Ereignis und verlange nach einem Geschenk, das ihr helfen würde, sich immer daran zu erinnern, hatte sie gesagt. Doch er hatte den Ring selbst ausgesucht, aus Silber, so wie das Medaillon.
Es gefiel ihr, dass das Medaillon nicht ganz flach war, sondern eher gewölbt, wie ein richtiges Herz, und ziemlich schwer für seine Größe. Es fühlte sich so gut in ihrer Hand an. Cassandra hatte ihr eine Geburtstagskarte geschrieben, in der stand, das Medaillon solle sie immer daran erinnern, was für ein wunderbares Herz sie habe, und sie nie vergessen lassen, wie sehr sie geliebt werde. Sie kam ständig mit derartigen Rührseligkeiten an.
Der Wind flaute ein wenig ab, und die nachfolgende Stille dröhnte so laut in ihren Ohren, dass sie sich ihn beinahe zurückwünschte. Ohne die Vögel kam ihr dieser Ort ganz anders vor. Sie mussten sich alle irgendwo in Sicherheit gebracht haben, bis der Hurrikan vorbeigezogen war. Sie fragte sich, wo die Fische und Schildkröten bei Sturm Schutz suchten. Machte sich ein Hurrikan eigentlich auch unter Wasser stark bemerkbar? Keine Ahnung. Vielleicht gingen die Tiere ihren gewohnten Tätigkeiten nach, ohne zu ahnen, was sich über ihren Köpfen abspielte. Trotzdem musste dort unten irgendwas vorgehen, denn vor einem Sturm bissen immer besonders viele Fische am Pier. Sie versammelten sich alle entlang des Geländers, bis der Wind und der Regen sie vertrieben.
Irgendwo unter ihr ertönte ein Knacken, als zerbreche ein Ast. War dort unten jemand? Annie Laurie packte den Baseballschläger und spähte hinab. Da war eindeutig etwas. Oder jemand, der sich in ihrem Geheimversteck herumtrieb. Aber Cassandra konnte es unmöglich sein. Oder?
»Annie Laurie?«
Nein, Cassandra war es definitiv nicht. Es war nicht einmal ein weibliches Wesen. Aber jemand, den sie kannte, zumindest jemand, der ihren Namen wusste. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass der ihr wohlgesinnt sein musste. Nun raschelte es direkt unter dem Baum. Sie umfasste den Schläger noch fester.
»Annie Laurie. Ich kann dich sehen.«
Sie war viel zu hoch oben, um ihn zu treffen, aber wenn sie ausholte und auf den Stamm einschlug, würde sie ihn vielleicht verjagen. Sie ließ den Aluminiumschläger auf den Stamm sausen. »Ich habe einen Baseballschläger und werde ihn notfalls auch benutzen, wenn es sein muss. Und jetzt verschwinde. Das ist Privatgrund.«
»Annie Laurie, ich bin’s, Jim.«
Jim? Jim Styron? Was hatte er denn auf ihrer Insel zu suchen? Sie hätte wissen müssen, dass er nicht nur zum Angeln herkam. »Jim Styron! Das ist meine Insel. Was tust du hier?« Hatte er die Kombination ihres Schlosses herausgefunden? Hatte er in ihren Sachen geschnüffelt?
»Ich suche nach dir, das tue ich hier. Ich habe dein Boot gefunden, aber du warst nicht drin.«
»Wie bist du hierhergekommen?«
»Was glaubst du wohl?«
Er fuhr in seinem Boot hinaus, obwohl ein Hurrikan nahte, und suchte nach ihr? Und er hatte genau gewusst, wo er nachsehen musste. Dieser Ort war nicht einmal annähernd so geheim, wie sie immer gedacht hatte. Aber die Gewissheit, dass er nach ihr gesucht hatte, obwohl er es nicht hätte tun müssen, löste ein Ziehen in ihrer Magengegend aus. Ein angenehmes Ziehen.
»Annie Laurie, kommst du jetzt runter oder nicht? Dir macht es vielleicht nichts aus, bei Sturm draußen zu sein, mir aber schon.«
Annie Laurie verstaute den Schläger und begann, das Seil
um ihre Schatzkiste zu legen. »Ich lasse gleich etwas herunter, und du nimmst es dann, okay?«
»Los, mach schon.«
Sobald sie sah, wie er die Kassette auf den Boden stellte, machte sie sich daran,
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