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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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aufgrund meiner Nähe zu zucken begannen. Sofort stellten sich seine Ohren auf und sein Blick huschte zu meinem Gesicht. Becks Augen. Beck. Beck. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Ich wartete auf den Moment, in dem er mich erkennen würde, aber er kam nicht. Nur dieser Blick und dann unkoordiniertes Scharren mit den Pfoten, der Versuch, seinen betäubten Körper aufzurichten.
    Plötzlich erschien mir die Vorstellung, ihm eine Spritze Epinephrin und Gott weiß, was sonst noch, in die Adern zu jagen, einfach lächerlich. Dieser Wolf steckte so fest in seiner Haut, dass wir Beck niemals aus ihm herauslocken würden. Nein, hier gab es nichts außer Becks Augen, ohne dass Beck hinter ihnen wartete. Mein Bewusstsein klammerte sich an Songtextfetzen, irgendetwas, was mir über diesen Augenblick hinweghalf, was mich rettete.
     
    Empty houses don’t need windows
    ’cause no one’s looking in
    Why would a house need windows, anyway
    If no one’s looking out again
     
    Der Gedanke, ihn wiederzusehen, ihn einfach nur zu sehen, war gewaltig. Bis zu diesem Moment war mir nicht klar gewesen, wie sehr ich mir das gewünscht hatte. Wie sehr ich es brauchte.
    Cole hockte sich neben uns, in der Hand die Spritze. »Sam?« In Wirklichkeit aber sah er Grace an, die wiederum mich ansah.
    Sofort spulte mein Gehirn noch einmal die Sekunde ab, in der die Wolfsaugen meine gefunden hatten. Sein Blick, ohne das geringste Verständnis, die geringste Vernunft darin. Wir hatten keine Ahnung, womit wir es hier zu tun hatten. Keine Ahnung, welchen Effekt die Injektion auf ihn haben würde. Cole hatte sich schon bei der Dosis für das Benadryl verschätzt. Was, wenn die Flüssigkeit in dieser Spritze Beck umbrachte? Würde ich damit leben können? Ich wusste, wie ich mich entscheiden würde – wie ich mich schon entschieden hatte, in derselben Situation. Als ich zwischen Sterben und der Chance, wieder zum Mensch zu werden, wählen musste, war ich das Risiko eingegangen. Aber immerhin hatte ich die Wahl gehabt. Ich hatte Ja oder Nein sagen können.
    »Warte«, sagte ich. Der Wolf versuchte taumelnd, auf die Füße zu kommen, seine Oberlippe zog sich warnend zurück.
    Aber da war auch das: ich, wie ich im Schnee lag, mein Leben, das gegen dieses hier eingetauscht wurde, zuschlagende Autotüren, Beck, der plante, mich zu beißen, der mir alles nahm. Ich hatte nie die Wahl gehabt, es war mir alles aufgezwungen worden, an einem Tag, der nicht anders hätte sein müssen als alle übrigen in meinem Leben. Er hatte die Entscheidung für mich getroffen. Das hier war nur fair. Kein Ja oder Nein damals. Kein Ja oder Nein heute.
    Ich wollte, dass es funktionierte. Ich wollte, dass er zum Menschen wurde, damit ich eine Antwort auf all die Fragen verlangen konnte, die ich ihm nie gestellt hatte. Ich wollte ihn zwingen, ein Mensch zu werden, damit er mir ein letztes Mal ins Gesicht sehen und sagen konnte, warum er das von allen Menschen auf diesem Planeten ausgerechnet mir angetan hatte, warum mir, warum überhaupt irgendjemandem, warum. Und, so verrückt es auch schien, ich wollte ihn wiedersehen und ihm sagen, wie sehr er mir fehlte.
    Ich wollte es.
    Aber ich wusste nicht, ob er es auch wollte.
    Ich sah Cole an. »Nein. Nein, ich hab’s mir anders überlegt. Ich kann das nicht. So jemand bin ich nicht.«
    Coles leuchtend grüne Augen blickten einen Moment lang in meine. »Ich aber«, sagte er dann.
    Und flink wie eine Schlange streckte er den Arm aus und stach dem Wolf die Nadel in den Oberschenkel.
COLE
    »Cole« , zischte Grace. »Ich fass es einfach nicht! Du –«
    In dem Moment zuckte der Wolf, taumelte vor uns zurück und Grace schwieg. Ruckartige Krämpfe schüttelten seinen gesamten Körper und sein Puls beschleunigte sich. Es war unmöglich zu sagen, ob wir gerade Zeugen eines Todes oder einer Wiedergeburt wurden. Ein Schauder ließ das Fell des Wolfs erzittern und er riss den Kopf in einer heftigen, unnatürlichen Bewegung nach hinten. Aus seinen Nasenlöchern drang ein langsames, immer höher werdendes Jaulen.
    Es funktionierte.
    Die Schnauze des Wolfs öffnete sich in stiller Qual.
    Sam wandte den Kopf ab.
    Es funktionierte.
    In diesem Moment wünschte ich, mein Vater stünde hier und sähe zu, damit ich sagen könnte: Sieh dir das an. Für jeden deiner Ansprüche, dem ich nicht gerecht geworden bin, sieh dir das an. Mein ganzer Körper schien in Flammen zu stehen.
    Mit einem letzten Krampfen schüttelte der Wolf seine Haut ab und lag nun

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