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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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auf dem ausgetretenen Teppich am Fuß der Treppe. Er war kein Wolf mehr. Er lag auf der Seite, die Finger in den Teppich gekrallt, seine Muskeln hart und drahtig über hervortretenden Knochen. Blasse Narben liefen über seinen Rücken, wie ein Panzer anstelle von Haut. Ich war fasziniert. Das war kein Mensch, es war die Skulptur eines Tiers in Menschengestalt, gebaut für Ausdauer und Jagd.
    Sams Hände hingen schlaff an seinen Seiten. Grace sah mich an, außer sich vor Wut.
    Aber ich hatte nur Augen für Beck.
    Beck.
    Ich hatte ihn aus diesem Wolf geholt.
    Ich tastete mit den Fingern über die Wand, bis ich den Lichtschalter fand. Als gelbes Licht den Keller erfüllte und die Bücherregale an den Wänden erhellte, schnellte Becks Arm hoch, um seine Augen zu bedecken. Seine Haut zuckte und zitterte immer noch, als wäre sie sich noch nicht sicher, ob sie ihre jetzige Form beibehalten sollte. Mit all den Heizgeräten, die hier unten vor sich hin summten, war es geradezu erstickend heiß. Die Wärme schloss mich so fest in meiner menschlichen Haut ein, dass ich mir nicht vorstellen konnte, jemals wieder etwas anderes zu sein. Wenn dieses Inferno ihn nicht davon abhielt, sich zu verwandeln, dann gab es nichts, was das konnte.
    Sam stieg schweigend die Treppe hoch und schloss die Tür, um auch noch den letzten Luftzug auszusperren.
    »Du hast so ein Glück, dass das nicht schiefgegangen ist«, sagte Grace mit leiser Stimme, sodass nur ich es hörte.
    Ich sah sie mit hochgezogener Augenbraue an und dann wieder Beck. »Hey«, sagte ich zu ihm. »Wenn du fertig bist, hätte ich ein paar Klamotten für dich. Bedanken kannst du dich später.«
    Der Mann stieß einen leisen Laut aus, als er ausatmete und seine Position veränderte, die Art Laut, wie man sie unbewusst von sich gibt, wenn man Schmerzen hat. Mit einer Bewegung, die mehr wölfisch als menschlich wirkte, stemmte er den Oberkörper vom Boden hoch und blickte mich an.
    Es war Monate her. Ich lag da, in dem Körper, den ich zerstört hatte.
    Es gibt einen Ausweg, hatte er gesagt. Ich kann dich rausholen aus dieser Welt. Ich kann dich verschwinden lassen. Ich kann dir helfen.
    Und jetzt, nach all dieser Zeit – es kam mir vor, als wären Jahre vergangen, seit er mir das Werwolfgift gespritzt hatte –, sahen wir uns wieder. Es war ein verdammt perfektes Beispiel für den Kreislauf des Lebens: Der Mann, der aus mir einen Werwolf gemacht hatte, war nun gleichzeitig der Wolf, den ich zum Mann gemacht hatte.
    Doch in seinen Augen sah ich, dass er immer noch weit, weit weg war. Er hatte eine seltsame, tierartige Haltung zwischen Sitzen und Kauern eingenommen und musterte mich argwöhnisch. Seine Hände zitterten. Ich wusste nicht, ob das eine Nachwirkung der Verwandlung oder meiner Injektion war.
    »Sag Bescheid, wenn du mich erkennst«, forderte ich ihn auf. Ohne Beck den Rücken zuzudrehen, nahm ich die Jogginghose und den Pulli von dem Sessel, in dem ich sie abgelegt hatte.
    Ich knüllte das Stoffbündel zusammen und warf es in Becks Richtung. Es landete mit einem sanften Poff vor ihm, aber er beachtete es gar nicht. Sein Blick huschte von mir zu den Regalen hinter mir und dann zur Decke. Ich konnte tatsächlich mit ansehen, wie der Ausdruck darin sich langsam von Flucht zu Wiedererkennen wandelte, als sein Verstand einen Neustart vollführte, von Beck, dem Wolf, zu Beck, dem Menschen.
    Schließlich schlüpfte er mit steifen Bewegungen in die Jogginghose und stellte sich mir gegenüber. Den Pullover ließ er auf dem Boden liegen. »Wie hast du das gemacht?« Er sah mich nicht an, als erwartete er nicht, dass ich ihm die Antwort liefern konnte, und starrte stattdessen auf seine Hände, die Finger weit gespreizt. Mit gerunzelter Stirn studierte er sie von beiden Seiten, erst die Handrücken, dann die Handflächen. Es war eine so fremdartige, intime Geste, dass ich wegsehen musste. Aus irgendeinem Grund erinnerte sie mich an Victors Beerdigung.
    »Cole«, sagte er und seine Stimme klang erstickt und rau. Er räusperte sich und beim zweiten Versuch ging es schon ein bisschen besser. »Wie hast du das gemacht?«
    »Adrenalin.« Das war die einfachste Antwort. »Und ein paar von seinen Freunden.«
    »Woher wusstest du, dass es funktionieren würde?«, fragte Beck, und dann, bevor ich etwas sagen konnte, gab er die Antwort selbst. »Du wusstest es nicht. Ich war das Versuchskaninchen.«
    Ich sagte nichts.
    »Wusstest du, dass ich es war?«
    Lügen war zwecklos. Ich

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