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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Grund wurde meine Stimme bei glauben ganz rau, »dass das hier keine Magie ist.«
    Sam küsste mich.
    Der Kuss landete ein Stück zu weit seitlich auf meinem Mund, weil ich noch immer nach oben sah, aber es war ein richtiger Kuss, kein vorsichtiger. Ich wandte mich ihm zu, damit wir uns noch einmal küssen und diesmal genauer zielen konnten. Meine Lippen brannten unter der ungewohnten Reibung seiner Bartstoppeln, und als er meinen Arm berührte, spürte ich überdeutlich die rauen Schwielen an seinen Fingerspitzen. Alles in mir fühlte sich scharfkantig und hungrig an. Ich verstand nicht, wie etwas, das wir schon so oft gemacht hatten, plötzlich so fremd und neu und beängstigend sein konnte.
    Während wir uns küssten, war es nicht mehr wichtig, dass ich noch vor Stunden ein Wolf gewesen war und dass ich irgendwann wieder einer sein würde. Es war nicht wichtig, dass tausend Fallen auf uns warteten, sobald wir aus diesem Moment heraustraten. Wichtig war nur das: unsere Nasen, die sich berührten, die Weichheit seiner Lippen, das Verlangen in mir.
    Sam löste sich von mir und presste sein Gesicht an meinen Hals. Dort ließ er es und zog mich in eine innige Umarmung. Seine Arme waren so fest um mich geschlungen, dass ich kaum Luft bekam, und mein Hüftknochen wurde schmerzhaft gegen die Motorhaube gedrückt, aber ich würde ihn nie, nie bitten, mich loszulassen.
    Sam sagte etwas, aber seine Stimme war nur ein unverständliches Murmeln auf meiner Haut.
    »Was?«, fragte ich.
    Er ließ mich los und blickte auf meine Hand, die auf der Motorhaube lag. Er drückte seinen Daumen an meinen Zeigefinger und studierte die Form unserer verschlungenen Finger, als wäre das ein kleines Wunder. »Ich hab dein Gesicht vermisst«, sagte er leise. Aber er sah mich nicht dabei an.
    Das Licht über uns schimmerte und wechselte die Form. Es hatte keinen Anfang und kein Ende, trotzdem sah es aus, als würde es uns verlassen. Wieder dachte ich an den Dreck unter seinen Fingernägeln, die Abschürfung an seiner Schläfe. Was war sonst noch passiert, während ich im Wald gewesen war?
    »Ich hab mein Gesicht auch vermisst«, erwiderte ich. In meinem Kopf hatte es ganz witzig geklungen, doch als ich es aussprach, lachte keiner von uns. Sam zog die Hand zurück und sah wieder hoch zu der Aurora borealis. So blickte er noch immer in den Himmel hinauf, als dächte er an gar nichts, als mir plötzlich klar wurde, wie grausam es von mir war, nicht auch etwas Liebevolles zu ihm zu sagen, nichts von dem zu sagen, was er hören musste, nachdem ich so lange fortgewesen war. Doch dann war der Augenblick verflogen und mir fiel nichts ein, was nicht furchtbar kitschig gewirkt hätte. Ich überlegte, Ich liebe dich zu sagen, aber allein bei dem Gedanken daran, es laut auszusprechen, wurde mir ganz eigenartig zumute. Ich konnte es mir nicht erklären; denn ich liebte ihn – so sehr, dass es wehtat.
    Aber ich wusste nicht, wie ich es sagen sollte. Also streckte ich nur die Hand aus und Sam nahm sie.
SAM
    Außerhalb des Autos war das Licht sogar noch strahlender, als läge in der kalten Luft um uns ein rosavioletter Schimmer. Ich streckte die freie Hand aus, als könnte ich die Aurora berühren. Es war kalt, aber auf eine gute Art, die Art, bei der man sich lebendig fühlte. Der Himmel über unseren Köpfen war so klar, dass wir jeden Stern sehen konnten, der auf uns herabblickte. Jetzt, nachdem ich Grace geküsst hatte, konnte ich an nichts anderes mehr denken als daran, sie zu berühren. Meine Gedanken drehten sich nur um all die Stellen, die ich noch berühren musste: die weiche Haut in ihrer Armbeuge, die Kurve direkt über ihrer Hüfte, die Erhebung ihres Schlüsselbeins. Ich wollte sie wieder küssen, verzweifelt, wollte mehr von ihr, stattdessen aber hielten wir uns nur an den Händen, die Köpfe nach hinten geneigt, und lehnten uns gemeinsam zurück, um hinauf in die Unendlichkeit zu blicken. Es war, als würden wir fallen. Oder fliegen.
    Ich war hin- und hergerissen zwischen dem Drang, den Moment hinter mir zu lassen, dieses Mehr zu ergreifen, und dem Wunsch, in ihm zu verweilen, in diesem Zustand stetiger Erwartung und stetiger Sicherheit. Sobald wir nach Hause zurückkehrten, würde die Jagd auf die Wölfe wieder zu etwas Realem werden und dafür war ich noch nicht bereit.
    Plötzlich fragte Grace: »Sag mal, Sam, willst du mich heiraten?«
    Ich zuckte zusammen, sah sie an, sie aber hielt den Blick noch immer auf die Sterne gerichtet, als hätte

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