In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)

Mutter ihr nach.
    Anya fiel auf, wie unkonzentriert Jennifer Beck, die Staatsanwältin, wirkte, die sich gerade mit ihrer Assistentin besprach. Jennifer beendete die Unterhaltung und kam über den Kies der Auffahrt zu Anya herüber.
    »Wir können es uns nicht leisten, wenn sie jetzt schlappmacht.« Sie zupfte an ihrer Anwaltsrobe. »Wenn sie heute hysterisch wird, dann wird alle Welt sie für labil halten, und das wäre natürlich ein gefundenes Fressen für die Verteidigung.«
    Anya spürte, dass die sonst so verständnisvolle Staatsanwältin unter gehörigem Druck stand. Das heutige Schlussplädoyer musste die Geschworenen endgültig davon überzeugen, dass die Angeklagten die junge Frau vorsätzlich betäubt und vergewaltigt hatten.
    »Sie hat das Kreuzverhör noch nicht weggesteckt und weiß, dass es für eine Verurteilung nicht gut aussieht.« Anya senkte die Stimme. »Was meinen Sie?«
    »Hätten wir mehr belastendes Material gehabt, dann wäre dieses Verfahren nicht zu einer derartigen Farce geworden. Ich werde eine Empfehlung zur Reform der Beweissicherung in sämtlichen Zentren für sexuelle Übergriffe aussprechen. Sie alle müssen uns mehr Beweismaterial zur Verfügung stellen, ansonsten geben wir der Öffentlichkeit das Signal, dass man mit einer Vergewaltigung leichter ungeschoren davonkommt als mit einem Ladendiebstahl.«
    Anya seufzte innerlich auf. Dies war weder der Ort noch der Zeitpunkt, um über die Einführung besserer Untersuchungsmethoden für Vergewaltigungsopfer zu debattieren.
    Jennifer Beck war da offensichtlich anderer Ansicht.
    »Wenn ihr Ärzte nicht solchen Druck gemacht hättet, um die Beweissicherung immer stärker zu reduzieren -«
    »Die Untersuchungen weniger invasiv zu machen, dafür haben wir hart gekämpft, zum Wohl der Opfer.«
    »Und erreicht habt ihr damit, dass unsere Chancen, handfeste, unwiderlegbare Beweise vorzulegen, drastisch gesunken sind. Selbst mit einem solchen Beweis lässt sich ein Sexualdelikt nur schwer wirklich festmachen. Wenn ihr uns den vorenthaltet, sind uns die Hände gebunden, aber trotzdem erwartet ihr gute Resultate.«
    Als geschäftsführende Leiterin des Western Regional Sexual Assault Service hatte Anya Crichton erfahren müssen, dass Krankenhausverwaltungen, Polizei und Anwälte im Zuge ihrer strategischen Grabenkämpfe nur zu oft vergaßen, welchem Zweck die ärztliche Untersuchung nach einer Vergewaltigung eigentlich diente. Der bestand darin, dem Opfer die bestmögliche medizinische Versorgung zukommen zu lassen und es eben nicht als menschlichen Tatort und quasi forensischen Speicher zu behandeln. Dennoch hatte sie Verständnis für die Argumentation der Staatsanwältin.
    »Wir werden versuchen, Naomi zu beruhigen, bevor sie wieder hineingeht«, versprach Anya.
    Anya hatte die traumatisierte Neunzehnjährige am Morgen nach dem Schulabschlussball kennen gelernt. Naomi war mit zwei ihrer Klassenkameraden nackt in einem fremden Hotelzimmer aufgewacht. Sie erzählte die typische Geschichte einer Vergewaltigung nach einem gemeinsamen Abend: Sie hatte ein, zwei Drinks gehabt, ihr war schwummerig geworden, und dann fehlte eine große Zeitspanne. Sie wusste nur, freiwillig wäre sie nie in ein Hotelzimmer gegangen oder hätte Sex mit den beiden Jungen gehabt.
    »Immerhin haben wir die Abschürfung vom Teppich an ihrer Nase. Selbst kann man sich so etwas kaum beibringen.«
    »Dumm nur, dass sie sich unter der Dusche wundgeschrubbt und sämtliche eindeutigen Spuren vernichtet hat«, erwiderte Jennifer und rückte sich Perücke und Anwaltstalar zurecht, was allerdings mehr der Nervosität denn einer notwendigen Korrektur des Erscheinungsbilds geschuldet war.
    Anya hatte großes Mitleid mit dem jungen Opfer, doch sie wusste, dass, obwohl die medizinische Untersuchung ihre Angaben bestätigte, die Aussichten für eine Verurteilung schlecht waren. Nase und Oberlippe waren an einem Teppich wund gescheuert worden, außerdem hatte sie fingerabdruckgroße Quetschungen an den Oberarmen, was in der Tat bedeuten konnte, dass jemand die Bewusstlose über den Boden auf das Bett geschleift hatte.
    Als Naomi sich zu Hause dann die Haut mit Stahlwolle blutig scheuerte, hatte ihre Mutter sie gefunden und auf der Stelle auf die Station für sexuelle Übergriffe gebracht.
    Anya war es gelungen, rechtzeitig das Hotel zu verständigen und das Zimmer absperren zu lassen, bevor es gereinigt wurde. Die Spurensicherung fand Sperma auf der Bettwäsche, und die DNA deutete auf