In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
Decke. »Er hat mich vergewaltigt, auf jede erdenkliche Art. Ich habe versucht, mich zu wehren, aber er war zu stark. Er hat Sachen gemacht, die mache ich mit meinem Mann nicht.«
Mary unterbrach sie. »Sie hätten nichts anderes tun können. Wenn Sie sich stärker gewehrt hätten, hätte Sie das Ihr Leben kosten können.«
Louise Richardson starrte wieder auf den Couchtisch. »Ich dachte, es ist vorbei. Aber dann hat er mir das Messer an die Kehle gesetzt und mich über den Kies geschleift. Ich hatte solche Angst. Ich konnte nur an meinen Mann denken, und wie er damit zurechtkäme, wenn ich jetzt sterbe.« Sie strich sich noch mehr Haare hinter das Ohr. »Er hat mich runtergedrückt, so dass ich nichts sehen konnte. Er hat gesagt, er weiß, wo ich wohne, und dass er mich umbringt, wenn ich jemandem was erzähle oder zur Polizei gehe. Dann hat er mir das Messer an die Kehle gedrückt und gesagt: ›Wer keinen Schmerz spürt, spürt keine Liebe‹. Dann hat er die Handschuhe ausgezogen … und … noch mal von vorn angefangen.«
Sachte strich Anya über Louises Ellenbogen. »Bevor ich Sie untersuchen kann, brauche ich Ihr schriftliches Einverständnis. Selbst wenn wir belastendes Material entnehmen, Sie haben noch immer Zeit zu entscheiden, ob es an die Polizei weitergeleitet werden soll oder nicht.«
Die Decke glitt von Louises Schultern und zeigte die verschmutzte weiße Bluse und den marineblauen Rock. Sie biss die Zähne zusammen und drückte den Rücken durch, so als sammle sie ihre ganze Kraft.
»Also gut, ich werde unterschreiben, aber ich brauche Zeit, um zu entscheiden, ob die Polizei eingeschaltet werden soll.«
4
In seinen gespendeten Sachen saß Geoffrey Willard am Tisch und wartete aufs Frühstück. Sechs Uhr ging vorbei, und das Knurren seines Magens wurde lauter. Und er blieb vor dem ramponierten Holztisch sitzen und wartete darauf, dass jemand ihm sagte, was er zu tun habe. Eine Stunde später betrat seine Mutter in einem hellblauen Morgenmantel die Küche.
»Guten Morgen«, sagte sie und drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Stirn.
»Ich habe Hunger«, sagte er ärgerlich, »und Durst.«
»Ah, aber natürlich«, meinte Mrs. Willard. »Ich kann doch nicht erwarten, dass du dir selber was kochst.«
Ihr jüngster Sohn stand auf und schob den Stuhl zurück. »Ich gehe Fernsehen schauen.«
Sie stellte den bereits gefüllten Kessel auf den Herd. Jeden Abend, ohne Ausnahme, befüllte sie einen Krug im Kühlschrank und den Kessel aus rostfreiem Stahl mit Wasser. So war sichergestellt, dass es am Morgen, selbst wenn die Leitungen über Nacht einfrieren sollten, eine heiße Tasse Tee gab. Sie dachte daran, was die Sozialarbeiterin vorhergesagt hatte. Dies alles würde nicht leicht werden, aber niemand konnte ermessen, wie schwer es für sie werden würde und immer gewesen war. Das Leben war grausam, es hatte ihr einen Nichtsnutz von Ehemann und ein abartiges Kind beschert. Wenn sie nicht schwanger geworden wäre, hätte sie Geoffreys Vater nie geheiratet. Er hatte mit einem Kind nichts anzufangen gewusst, das anders war, und verdrückte sich bei der erstbesten Gelegenheit.
Geoffrey war von Anfang an anders gewesen, und keine Bestrafung hatte an seinem Verhalten etwas ändern können. Sie würde nie erfahren, wie es ihm im Gefängnis ergangen war und warum er diese Scheußlichkeit getan hatte, die ihm das eingebrockt hatte. Ihr Sohn war von Natur aus böse und würde es immer sein. Eine andere Erklärung gab es nicht.
Und nun, nach einer Gnadenfrist von zwanzig Jahren, war er wieder da, hier in ihrem Haus.
Sie holte eine Bratpfanne aus dem Fach unter dem Herd, machte einen Karton Eier auf und ging zum Kühlschrank, um Butter zu holen. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie nur wusste, was Geoff als achtzehnjähriger Junge gemocht hatte. Aber nicht als Mann – wie jetzt, mit kurzen Stoppeln statt Haaren und Falten, die sich tief in das lange, kantige Gesicht gegraben hatten. Ihr Kind war fast vierzig Jahre alt – ein Mann in der Mitte seines Lebens. Wenigstens hatte er immer noch die schönen blauen Augen – Segen und Fluch zugleich.
Der Gedanke an all diese fehlenden, vergeudeten Jahre gab ihr einen Stich in die Brust. Wie stellte man es an, sie zurückzuholen? Wenn sie doch nur ein normales Kind bekommen hätte.
Doch sie musste eben das Beste daraus machen, und das hieß für den Anfang: Eier mit Speck. Sie schlug die Eier an der Pfanne auf, und der Kessel pfiff. Eine Kanne Tee zu
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