In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
schon verdient?«
»Eigentlich geht’s um das, was vor dir liegt. Tut mir leid, aber es hat Alarm gegeben, und außer dir ist noch niemand im Dienst.«
Anya sackte auf dem Stuhl zusammen und nahm das Bestechungsgeschenk an. »Wie lange bleibt uns noch, bis sie kommt?«
»Sie ist schon da, Zimmer zwei. Wird nicht lange dauern, sie will nicht, dass die Polizei eingeschaltet wird, sie will nur die ›Pille danach‹ und, das muss man sich mal vorstellen, eine Leseliste, damit sie sich über Vergewaltigungen informieren kann. Ein ›Typ A‹, wie er im Buche steht.«
Anya schüttete den Kaffee hinunter, und sie gingen ins Behandlungszimmer. Anya begrüßte »Einfach Elizabeth«, die im Raum auf und ab ging.
»Gut, dass Sie da sind. Ich muss um halb neun bei der Arbeit sein, können wir also ein bisschen fix machen? Draußen wartet jemand im Wagen, und ich hab heute Morgen noch einen Naturkundeausflug mit sechzig Kindern vor mir.«
»Ich werde tun, was ich kann. Ich bin Dr. Anya Crichton. Sie wollten mich sprechen?«
Mary entschuldigte sich und verließ den Raum.
»Alles, was ich will, ist ein Rezept für eine postkoitale Verhütung, was auch immer damit heutzutage gemeint ist. Ich kann es mir nicht leisten, schwanger zu werden. Und momentan verhüte ich nicht.«
»Wenn Sie in der Nacht vergewaltigt wurden, dann muss Ihnen zumindest noch unwohl und schlecht sein.«
»Jetzt geht es mir gut. Er muss mich durchs offene Fenster gesehen haben. Ich habe einen Film angeschaut und bin auf der Couch eingeschlafen. Als ich aufwachte, war er auf mir drauf. Als er fertig war, ist er gegangen. Das war’s.«
Sie ging weiter im Raum auf und ab, die Hände in den Hosentaschen, die Schultern hochgezogen wie ein kleines Tier, das sich aufplustert, um größer zu scheinen, weil es sich angegriffen fühlt.
»Ich bin gesund, und da es jetzt ja noch zu früh ist, um eine mögliche Infektion festzustellen, werde ich wiederkommen, wenn es so weit ist. Alles, was ich brauche, ist das Verhütungsmittel.«
Aus Erfahrung wusste Anya, dass es sinnlos war, eine Frau zu drängen, wenn sie eine Untersuchung oder Beratung ablehnte. Sie musste jede Entscheidung akzeptieren, nicht nur die, mit denen sie einverstanden war. Elizabeth benahm sich beinahe so, als kenne sie ihren Vergewaltiger: Schnell das alte Leben wieder aufnehmen und nur ja nicht ins Detail gehen. Vor allem aber machte es stutzig, dass sie die Schuld quasi auf sich nahm, indem sie betonte, das Fenster habe offen gestanden.
Anya setzte sich an den Tisch und zog die Schublade auf. Sie nahm eine Tablettenschachtel heraus und schnitt vier Pillen vom Blisterstreifen ab. Die steckte sie in einen Umschlag mit Mitteln gegen Übelkeit. »Sind Sie gegen irgendetwas allergisch?«
»Nein.«
»Da liegt eine Gebrauchsinformation bei. Nehmen Sie jetzt zwei Tabletten und eine von den Kapseln. Es kann sein, dass Ihnen von den Hormonen übel wird, dem soll die Kapsel entgegenwirken. In zwölf Stunden nehmen Sie dann die restlichen Tabletten auf ein Mal. Hier haben Sie meine Handynummer. Falls Sie sich, kurz nachdem Sie die Tabletten genommen haben, erbrechen müssen, geben Sie mir Bescheid, ich sorge dafür, dass Sie Ersatz bekommen.«
»War’s das? Ich muss zur Arbeit.«
»Elizabeth, Sie haben eine traumatische Erfahrung durchgemacht. Ich verstehe ja, dass Sie Ihr Leben wieder aufnehmen wollen, aber vielleicht sollten Sie doch lieber einen Tag frei nehmen, um sich zu erholen. Ich kann Ihnen ein Attest ausstellen. Dann könnten wir zumindest besprechen, welche Möglichkeiten Sie jetzt haben.«
»Danke, aber das ist nicht nötig. Mir geht es gut.«
»Darf ich Sie wenigstens später anrufen und mich erkundigen, wie Sie die Pillen vertragen?«
Die Frau, die aussah, als wäre sie gerade einen Marathon gelaufen, wühlte in ihrer Handtasche. Anya fiel auf, dass sie trotz der Wärme einen Rollkragenpulli trug, und fragte sich, welche Verletzungen sie darunter wohl verbarg. Wenn sie sich auch sorgte, dass der Übergriff schlimmer gewesen war, als Elizabeth zugab, so musste sie doch einräumen, dass jede Betroffene ihre eigene Art hatte, damit umzugehen. Sie hatte das Recht, sich behandeln zu lassen, und das Recht, die Behandlung zu verweigern. Anya konnte nicht mehr tun, als ihre Hilfe anzubieten, sollte die Lage sich weiter verschlimmern.
»Es ist nicht Ihre Schuld, was passiert ist.«
»Ich habe das Fenster offen gelassen.«
Anya reichte ihr den Umschlag. »Das ändert nichts an seinem
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