In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
haben kein Recht, für mich zu sprechen, ganz zu schweigen davon, der Presse gegenüber zu behaupten, dass ich auf Ihrer Seite sei. Die Nummer, die Sie da eben abgezogen haben, ist absolut unentschuldbar.«
»Wie ich schon sagte, ich war perplex.«
Wer’s glaubt, dachte Anya.
Als sie die unzähligen Türen und Sicherheitskontrollen sowie die unablässigen Klagen der Anwältin darüber, dass sie für die Dauer des Besuchs das Handy abgeben musste, endlich hinter sich gebracht hatten, wurden sie in einen eingezäunten Hof geführt. Er war, von den weißen Plastiktischen und -stühlen abgesehen, völlig kahl und der Ort, an dem Familien an Besuchstagen zueinanderfanden.
»Er sitzt gern in der Sonne«, erklärte Veronica, als ob ihr das auch nur das Mindeste bedeutete.
Anya bezweifelte, dass die andere Frau in Willard mehr sah als die Schnellstraße zu größeren, publicityträchtigeren und daher lukrativeren Fällen.
Der Mann, der kurz darauf, von einem Aufseher begleitet, in einem grünen Trainingsanzug ins Freie kam, war beträchtlich kleiner, als von den Zeugen beschrieben. Sie dachte an Quentin Lagardias Bemerkung, dass die Körpergröße des Angreifers von den Opfern so gut wie immer überschätzt würde.
Veronica behielt Platz, und Willard sah keiner von beiden in die Augen.
»Wir haben nicht viel Zeit, und es ist wichtig, dass wir ein paar Punkte besprechen. Das ist eine Ärztin, die sich ansehen soll, wie Sie behandelt werden. Die Polizei hat Sie ja offenkundig übertrieben hart angefasst, als Sie sich freiwillig stellten.«
Willard setzte sich an den Tisch und starrte auf seinen Schoß. Bislang machte er einen alles andere als bedrohlichen Eindruck.
»Würden Sie der Frau Doktor Ihre Verletzungen zeigen?«
Geoff sah zum Aufseher, der nickte.
»Wenn Sie gestatten«, sagte Veronica. »Anwältin, Mandant. Vertraulich.«
Der Aufseher zog sich ein paar Schritte zurück.
Willard streckte die Arme aus. Anya bemerkte Quetschungen an der Oberseite seiner Handgelenke, mutmaßlich durch Handschellen. Die Fingernägel waren bis unter die Fingerspitzen abgekaut. Sie machte sich eine kurze Notiz auf dem mitgebrachten Block.
»Die Frau Doktor möchte Ihnen einige Fragen zu der Nacht stellen, in der Eileen Randall starb.«
Willard blickte auf. »Wieso? Ich bin nicht mehr deswegen im Knast.«
Anya vermochte nicht zu entscheiden, ob die Naivität des langjährigen Häftlings seiner Unschuld entsprang oder vielmehr Teil einer perfekt eingeübten Rolle war.
»Ich habe mir den Bericht angesehen, und ich glaube, dass Eileens Leiche in dieser Nacht im Wasser getrieben hat. Genau wie Sie auf dem Revier gesagt haben.«
»Das ist lange her«, erwiderte er.
»Erinnern Sie sich noch an die Sendung, die Sie sich an dem Abend angeschaut haben, bevor Sie noch mal rausgegangen sind?«
Er lächelte kaum wahrnehmbar. »Die war witzig. Ich hab echt lachen müssen.«
»Können Sie uns sagen, wie sie hieß?« Veronica sprach mit ihm wie mit einem Kleinkind.
»The Eleventh Hour.« Er beobachtete eine Ameise an der Tischkante. »War ganz schön derb. Das hat Mum nicht gefallen.«
»Guter Junge«, lobte Veronica.
Willard mochte im Körper eines Vierzigjährigen stecken, dachte Anya, aber die zwanzig Jahre im Gefängnis hatten verhindert, dass er reifer wurde. Seelisch war er auf dem Niveau eines Heranwachsenden stehen geblieben, und so sollte man ihn auch behandeln, nicht wie ein kleines Kind.
Anya wollte ihn dazu ermuntern, aus sich herauszugehen. »Ich habe mich schlau gemacht, diese Sendung ist nie wiederholt worden. Können Sie sich denn noch an irgendetwas aus der Folge erinnern, die Sie sich angeschaut haben, bevor Sie Eileen fanden?«
Die Ameise schien Geoff weitaus stärker zu fesseln. Er streckte die Hand aus, damit das Insekt daraufkrabbeln konnte. Anya sah den Schmutz unter seinen Fingernagelresten, als die Ameise von einem Finger auf den nächsten lief. Es war schwer zu sagen, ob er nett oder grausam zu ihr war.
»Ein Mann geht an der Bushaltestelle zu einer Frau und schaut ihr unters Kleid. Sie haut ihm eine runter und rennt weg. Dann kommt eine olle Oma und verdrischt den Mann mit ihrem Regenschirm, weil er ihr nicht unters Kleid schauen will.«
Er spielte weiter mit der Ameise.
Veronica drückte die Kugelschreibermine raus und rein, raus und rein. Sie streckte die Hand aus und zerquetschte die Ameise mit dem Finger. »Ihnen droht ein Leben hinter Gittern, wenn Sie wegen Mord verurteilt werden. Wir reißen
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