In deiner Hand
festhalten konnte. Dass Haiss noch lebte, erkannte ich daran, dass seine Brust sich langsam hob und wieder senkte. Die Hände flach auf seinen feuchten Oberkörper gelegt, hockte ich in seinem Blut. „Ich werde ihn töten, hörst du? Eines Tages bin ich stark genug, und dann werde ich ihn umbringen. Dann werde ich euch alle umbringen“, flüsterte ich und biss die Zähne zusammen. „Dann wird er Mum endlich in Ruhe lassen! Dann ist es vorbei!“ Mit der freien Hand wischte ich mir die Tränen aus den Augen und zog die Nase hoch. „Er ist nur ein Monster. Er ist kein Mensch! Er verdient es überhaupt nicht zu leben!“ Ich hob den Arm mit dem Holzstück in der Hand und zählte bis Drei, dann bis Zehn und schließlich bis Dreißig. Wie erstarrt saß ich da, sah auf das blutüberströmte Gesicht hinab. Alles war zu einem unförmigen Brei zertrümmert worden. Das war mein Verdienst. Ganz von allein wanderte meine Hand zu dem leicht abgerundeten Kinn und strich eine nasse Strähne zur Seite. „Es tut mir leid!“ Ohne mit der Wimper zu zucken rammte ich ihm den provisorischen Pflock in die Brust. Ich war mir nicht sicher was passierte, wenn man einen Vampir aufspießte. Vielleicht zersetzte er sich gleich in seine Bestandteile, oder löste sich in Luft auf? Mir war klar, dass ich aufstehen und gehen sollte, bevor der Hausmeister oder die Putzkolonne antrabte, aber ich konnte mich nicht rühren.
„Verry?“ Wie betäubt drehte ich den Kopf zur Seite. Linda stand unmittelbar vor mir. „Komm. Ich helf dir auf.“ Ihre zierlichen Finger streckten sich mir entgegen. Es war, als seien sie gar nicht wirklich da, als bilde ich mir die Frau nur ein. Die Schulsekretärin lächelte freundlich und nickte mir aufmunternd zu. „Na los.“ Kein Drängen, kein Fordern. „Bringt ihn weg“, ertönte es irgendwo hinter mir. Wie unter einem Peitschenhieb zuckte ich zusammen, riss die Arme vor meine entblößten Brüste und spähte panisch umher. Überall waren Schatten, die jedes Mal an Intensität verloren, wenn ich sie genauer in Augenschein nahm. Irgendetwas wuselte durch den Flur, doch es gelang mir einfach nicht, diejenigen zu greifen, sie zu erkennen. Sie waren einfach zu schnell. Etwas warmes Weiches legte sich um meine Schultern, bedeckte meinen Rücken und verhüllte meine Nacktheit. „Komm jetzt, Verry!“ Nun drängte sie mich doch, umfasste meinen Oberarm und zog mich mit sanfter Gewalt fort. „Wir bringen dich erst einmal ins Krankenzimmer“, erklärte sie leise und schob mich behutsam neben sich her, zum Hinterausgang. „Da hast du ihn ja eiskalt erwischt“, murmelte sie und kicherte leise. Ihre neugierigen Blicke kribbelten auf meiner Haut. Warum blieb sie so ruhig? All das Blut, der reglose Körper eines Schülers, eine splitterfasernackte Schülerin. Doch Linda führte mich von dem Ort des Geschehens weg, als sei es nur eine kleine Lappalie. Ich versuchte angestrengt meine fahriger werdenden Gedanken zu sammeln, und zu begreifen, weswegen sie so reagierte und was diese komischen Schatten zu bedeuten hatten. Etwas piekste mir in den Nacken. Mein Körper klappte in sich zusammen wie ein Kartenhaus.
„War das denn nötig?“, hörte ich Linda noch fragen. Dann füllte sich mein Kopf mit Watte und ich versank in wohltuende Dunkelheit.
Der Geruch von Desinfektionsmittel stach mir in die Nase, die daraufhin protestierend zu Kribbeln begann. Jemandes Anwesenheit war so deutlich zu spüren, als würde man mir über die Wange streicheln.
„Verry?“, flüsterte es an meinem rechten Ohr. Warmer Atem strich über meinen Hals, Fingerspitzen glitten meinen Arm hinauf und hinunter. Keine Bedrohung sprach aus den Worten, trotzdem zuckte ich zusammen, als ich die Berührungen realisierte. Ich begegnete Lindas Blick. Ein weiches Lächeln umspielte ihre Lippen. Ihre blauen Augen glänzten, als stünden Tränen darin. Sofort war ich auf den Beinen und presste das hauchdünne Stück Stoff auf meine nackten Brüste. Mit überschlagenen Beinen saß sie auf einem Stuhl, direkt neben der Krankenliege. „Du musst dich nicht vor mir verstecken“, sagte sie leise und erhob sich. Dabei stieß ihre Hüfte gegen einen kleinen Tisch, auf dem eine weiße Schüssel stand. Die rosafarbene Flüssigkeit darin schwappte über den Rand. Obwohl ich Linda um mindestens einen Kopf überragte, wich ich vor ihr zurück. Mir gefiel der Blick nicht, mit dem sie mich musterte. Ihr Lächeln wurde breiter. Sie kam näher. Ich trat den Rückzug an, bis
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