In deiner Hand
kotzübel. „Verkaufst du dich?“ Sie sah mich todernst an.
„Das meinst du doch nicht ernst!“, stieß ich hervor und wollte nach ihren warmen Händen greifen, in der Hoffnung dass sie die aufsteigende Panik linderten. Mum wich vor mir zurück.
„Dann sag mir, was du treibst! Sei ehrlich zu mir, Verry! Ich will dir doch nur helfen!“
„Du kannst mir nicht helfen, Mum. Niemand kann mir helfen …“ Meine Stimme brach. Eine Härte stahl sich in ihren unerbittlichen Blick, die ich nie zuvor gesehen hatte. Sie wühlte grob im Korb und warf mir ein paar Geldscheine vor die Füße. „Such dir ein Hotel, oder übernachte bei Annie! Ich will dich heute einfach nicht in meinem Haus haben!“ Mit diesen Worten drehte sie sich von mir weg.
„Bitte geh jetzt nicht, Mum!“, schluchzte ich. „Bitte lass mich jetzt nicht allein!“ Sie schüttelte nur den Kopf und marschierte davon. Ihre Schuhe hatte sie einfach liegen lassen.
Sechster Streich
Ich stand einfach nur da, sah Mum nach und fühlte wie sie sich mit jedem weiteren Schritt von mir entfernte, wie sie, ohne es zu wissen, ein Stück aus meiner längst kaputten Seele herausriss. Minutenlang starrte ich auf den leeren Pfad, der sich durch den Park schlängelte. Vom Duft ihres blumigen Parfums blieb nichts als die bloße Erinnerung daran. Mum war weg! Das war zu viel für mich! Jedes verdammte Wochenende in den vergangenen zwei Jahren hatte ich mich von Malik schikanieren lassen, hatte darum gekämpft, dass er Mum in Ruhe ließ, hatte gehofft, gefleht und dieses verdammte Leben gehasst. Einzig Mums Glück stand auf meiner Liste ganz oben. Ich hatte auf so viel verzichtet, hatte so viel ertragen, um sie vor dem sicheren Tod zu bewahren. Mein Leben gab ich für ihres. Meine Kindheit, meine Jugend, meine Zukunft. Alles was ich besaß hatte ich dem Blutsauger zu Füßen gelegt. Und jetzt? Jetzt spazierte sie einfach davon! Schmiss mich aus unserem Heim, aus meiner sicheren Zuflucht. Sie stieß mich von sich, dabei sehnte ich mich so sehr nach ihr, dass mir diese Reaktion das Herz brach, den Verstand raubte.
Alle menschlichen Eigenschaften: meine Vernunft, mein Gewissen, mein gesunder Menschenverstand, mein Herz … alles quittierte in diesem Augenblick seinen Dienst. Von einer Sekunde zur anderen übernahmen der blanke Wahnsinn die Oberhand, bemächtigte sich meines Körpers. In diesem Moment wusste ich, dass ich durchdrehen würde und nichts und niemand konnte mich noch aufhalten. Es fühlte sich an, als platze mein Herz. Heiß und pulsierend rauschte das Blut durch meinen Brustkorb, brannte wie flüssige Lava in meinen Gliedmaßen und hinter meinen Augen. Selbst meine Kopfhaut kribbelte wie verrückt. Der folgende Atemzug war wie ein Schock und schien kein Ende zu nehmen. Jeden Moment würden meine Lungen bersten, doch sie dehnten sich unendlich, sogen jedes bisschen Sauerstoff bis in die winzigsten Bronchien, erfüllten mein Innerstes. Das Ausstoßen der Luft mündete in unmenschlichem Grollen, aus dem alsbald ein animalisches Knurren wurde, das aus den Tiefsten meiner selbst zu kommen schien. Mein Brustkorb vibrierte wie unter einem Presslufthammer. Das Knurren mutierte zu einem ohrenbetäubenden, bestialischen Brüllen. Ich schlang die Arme fest um meinen Oberkörper, legte den Kopf in den Nacken und schrie mir die Seele aus dem Leib. Ganz automatisch ging ich in die Knie, denn meine Füße konnten die Gewalt, die aus mir herausbrach nicht mehr tragen, sackten unter mir weg und überließen dem stärksten Teil meines Körpers diese Aufgabe. Mit aufgerissenen Augen starrte ich in das Blätterdach über mir und hasste alles! Die Welt, die Menschen, die Tiere, jede Bakterie, jeden Virus, jeden Pilz, jeden Einzeller. Ich verfluchte, verdammte sie und wollte sie alle tot sehen!
„Oh mein Gott!“, rief jemand, eine Frau mit einem wundervollen Parfum, dass das erhitzte Pochen ihres Herzschlags untermalte wie Goldschimmer einen Van Gogh. Ich riss den Kopf runter und starrte durch halbgeschlossene Lider nach vorn.
„Bist du okay?“, fragte ein Typ. Lange blonde Haare, kackbraune Augen, Pickel und er stank vor Nervosität wie eine Tonne gammliger Biomüll. Aber SIE! Gott, dieser Duft! Ehe ich mich versah, sprang ich dem Kerl gegen den Brustkorb, stampfte ihn in den Boden und presste ihm die Luft aus den Lungenflügeln. Er ächzte, ehe er die Augen verdrehte und reglos liegen blieb. Die Tussi stieß einen erstickten Schrei aus und wurde käseweiß. Ich leckte
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