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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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hauchte ich. »Woher wissen Sie so viel über mich?«
    Er beugte sich zur Seite und nahm das Bodenbrett hoch. »Nicht alle Geheimnisse geraten in Vergessenheit. Weder die Dämonen noch die Bannwächter. Und auch Sie nicht, Jägerin.«
    Vater Lawrence schob das Bodenbrett wieder an seinen Platz. Unmittelbar bevor er die Luke endgültig verschloss, sagte er noch leise: »Um Vater Ross tut es mir leid.«
    Dann hüllte die Dunkelheit uns ein.
     
    Der Raum war sehr klein. An der Wand standen Kisten mit alten, rostigen Kannen und Wasserkrügen. An den gefalteten Decken hatten die Mäuse genagt. Hinten führte eine Treppe nach unten, die gerade breit genug für eine Person und dabei sehr steil war. Grant konnte die Stufen nicht erkennen, ich dagegen vermochte im Dunkeln ausgezeichnet zu sehen.
    Ich bat ihn, die Pistole an Aaz zu verfüttern und meinte, ich hätte Angst, sie könnte zufällig losgehen. Das stimmte zwar, war aber nur ein Teil der Wahrheit. Grant wusste es natürlich. Er verstand mich, und ohne etwas zu sagen tat er, was ich verlangt hatte.
    Wir gingen langsam und vorsichtig die Treppe hinunter. Ich hielt Grants freie Hand. Zee führte seinen Gehstock. Kein Laut drang durch die Wände. Ich hörte nur das leise Schlurfen unserer Schritte und unser angestrengtes Atmen. Dek und Mal summten die Melodie von Elton John’s Someone Saved My Life Tonight .
    »Welche Farbe haben sie?«, erkundigte ich mich nach einer Weile. »Wenn sie singen?«

    »Die eines schwarzen Regenbogens«, antwortete Grant und drückte meine Hand fester. »Gebogene Schuppen in tiefstem Purpurrot und Schwarz, das von Sternschnuppen durchzogen ist. Ich sehe die Nacht, wenn sie singen. Ich sehe auch das Nordlicht, aber ohne Farben, als kämen ihre Stimmen von einem Ort, der zu alt ist, als dass er etwas anderes als Dunkelheit kennen könnte.«
    »Und trotzdem vertraust du ihnen.«
    »Die Abwesenheit von Licht ist nicht an sich schlecht. Es ist nur eine andere Art zu sein, eine andere Art von Energie.« Er sah in meine Richtung - und mir wurde klar, dass er mich durch das Licht sehen konnte, das der Klang meiner Stimme und meine Bewegung erzeugten. »Konflikte definieren diese Energie, und wir beurteilen ihren Wert danach, ob uns die Aktion und das Ergebnis hilft oder schadet.«
    »Cribari hält mich für den Antichrist.«
    Grant knurrte und drückte meine Hand erneut, diesmal fast schmerzhaft stark. »Von mir aus kann er zur Hölle fahren.«
    Ich zögerte. »Das mit deinem Freund tut mir leid.«
    »Nein, tut es nicht«, erwiderte er, »aber ich kann verstehen, warum nicht.«
    »Glaubst du wirklich, dass du ihn hättest erreichen können?«
    »Ich weiß es sogar. Keiner ist für immer verloren, Maxine.«
    Ich hatte weit weniger Vertrauen in diese Behauptung. Aber weit weniger bedeutete eben nicht gar keins.
    Wir brauchten fast dreißig Minuten, um den Fuß der Treppe zu erreichen. Am Ende war Grant vollkommen erschöpft. Seit seiner Begegnung mit Cribari und Vater Ross war er zusehends schwächer geworden. Ich ließ ihn auf der untersten Stufe ausruhen, bis ich mit Zee den Ausgang gefunden hatte, eine Metalltür, die auf eine klaustrophobisch enge Gasse führte, die jener
ähnelte, auf der ich mich wiedergefunden hatte, nachdem ich aus dem Labyrinth nach Shanghai gefallen war.
    Es war kalt da draußen, die Nacht war ruhig. Von Verfolgern war nichts zu hören, ebenso wenig von Schüssen oder kleinen dicken Priestern, die gegen ihren Willen verschleppt wurden. Grant zog den Zettel mit der Adresse aus der Tasche und zeigte ihn Zee. »Kannst du das finden?«
    Der kleine Dämon las die Buchstaben und Zahlen. Rohw und Aaz spähten ihm über die Schulter, und dann beratschlagen die drei leise in der melodischen, ruhigen Sprache, die nur sie miteinander teilten.
    »Na klar«, schnarrte Zee. »Aber es ist nicht nah. Braucht Räder.«
    Shanghai war eine Stadt, die niemals schlief. Als wir die Gasse verließen, gerieten wir auf eine belebte Straße hinaus, auf der es von dampfenden Essenskarren und Gruppen junger Leute nur so wimmelte, die miteinander redeten und der Musik aus ihren Kopfhörern lauschten. Karren mit Äpfeln und Orangen standen an der Ecke, neben Frauen, die bei Ölfässern ausharrten, aus denen sie kleine Öfen gemacht hatten. Auf Rosten lagen darüber gebackene Süßkartoffeln und Maiskolben. Wir gingen um Tischtücher herum, die auf dem Bürgersteig ausgebreitet waren und auf denen Haarclips und Hüte, in Cellophan verpackte

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