In Den Armen Der Finsternis
Unterwäsche, Essstäbchen, Schüsseln und andere nützliche Utensilien feilgeboten wurden.
Die Einheimischen warfen uns neugierige Blicke zu, belästigten uns aber nicht. Dek und Mal zogen sich tiefer in den Schatten unter meinem Haar zurück.
»Ich bin schon einmal in dieser Stadt gewesen«, sagte Grant. »Nur für ein oder zwei Tage, und zwar vor vielen Jahren, mit meinem Vater, als er geschäftlich hier zu tun hatte. Damals war
es aber noch anders, ruhiger. Um die Außenbezirke herum gab es mehr Ackerland.«
»Kennst du dieses French Quarter, zu dem wir uns aufmachen sollen?«
»Nein.« Grant lächelte schmerzlich. »Ich saß den ganzen Tag in einem Büro und hörte zu, wie mein Vater mit Hilfe eines Übersetzers verhandelte, der genauso hässlich aussah, wie er klang. Damals war ich sechzehn.«
»Dann war ich wohl sechs. Vermutlich hockte ich in einem Auto und hörte Johnny Cash im Radio.«
»Das wäre mir lieber gewesen.«
»Schon möglich.« Ich sah ihn an. »Aber nie in der Lage zu sein, sich irgendwo niederzulassen, wurde auch irgendwann langweilig.«
Wir erreichten eine größere Straße - und kaum eine Minute später gelang es uns, ein Taxi anzuhalten. Grant beherrschte ein paar Brocken Mandarin, und der Fahrer kannte die Henshan Lu. Wir fuhren in die richtige Richtung, die Jungs hockten im Schatten zwischen unseren Füßen, während sie auf M&M-Tüten und kleinen Beuteln mit Nägeln herumkauten.
Es war eine kurze Fahrt. Die Straßen wurden immer ruhiger und dunkler, bis wir schließlich zu einem Viertel kamen, in dem sie von großen Bäumen und grauen Mauern gesäumt wurden. Die Mauern waren hoch, aus den Rissen in den Steinen wuchsen Pflanzen. Schmale Eisentüren waren darin eingelassen. Das ganze Viertel machte den Eindruck einer Festung. Auf der anderen Seite der Mauer erhaschte ich ab und zu einen Blick auf Lehmziegel und hohe Fenster.
Henshan Lu war weder elegant noch eine Wohnsiedlung. Neonreklamen flackerten und Restaurants lockten. Überall gab es Bars, bis ich schließlich ein großes blinkendes Zeichen bemerkte,
das von weißen und gelben Neonröhren eingefasst war und auf dem in roten Buchstaben der Name LUCKY JOHN’S stand. Vor der Tür waren zwei schlanke chinesische Mädchen zu sehen, die beide die gleichen schwarzen hochhackigen Stiefel trugen, dunkle Leggins und Jeans-Miniröcke. Ihre Oberkörper waren in dicke weiße Jacken mit Pelzkapuzen gehüllt, und sie traten von einem Fuß auf den anderen, als wir aus dem Taxi stiegen und uns ihnen näherten. Vielleicht froren sie. Die Luft war hier merklich kühler.
Die beiden lächelten zwar, aber es war ein müdes, falsches Lächeln, als gehörte es zu ihrem Gehaltsscheck dazu. Grant lächelte nicht. »Ni’hao«, sagte er. »Killy zai bu zai?«
Das Lächeln der Mädchen erlosch, dann sahen sie plötzlich nicht mehr durch uns hindurch, sondern blickten wirklich in unsere Gesichter hinein. Eine der beiden sagte ein Wort, die andere deutete auf die Tür.
»Bar«, sagte sie in schwach akzentuiertem Englisch. »Erwartet Sie.«
Wir gingen hinein, tauchten aus einer dunklen Nacht in ein noch dunkleres Inneres ein, das wie ein kitschiger Country-Antikladen für Alkoholiker dekoriert war. Uralte Tafeln an den Wänden warben für Schnaps und leichte Mädchen; daneben hingen Sessel, Cowboyhüte und jede Menge Geweihe, an denen kleine Whiskyflaschen wie Weihnachtsschmuck befestigt waren. An der Decke hingen noch mehr Flaschen von einem gewaltigen Kronleuchter herunter, Wodkaflaschen diesmal, in deren Hälse winzige Glühbirnen hineinmontiert waren. Rauch waberte durch die Luft, die klagende Stimme von Alison Krauss drang aus dem Radio.
Der Laden war halb voll. Keine Zombies, nur müde Trinker, die auf ihren Stühlen hockten. Die meisten waren weiße Männer,
die ihre Krawatten gelockert hatten und die Drinks umklammert hielten. Keiner saß allein. Jeder befand sich in der Gesellschaft von entzückenden jungen chinesischen Mädchen, die zwar alle stocknüchtern, dafür aber wesentlich fröhlicher wirkten. Alle lächelten, lehnten sich tröstend an die Männer und wurden ignoriert.
Die Männer hatten nur Augen für die Bar. Ich starrte auch dorthin. Auf dem Tresen saß eine Frau. Sie hatte die langen Beine übereinandergeschlagen - ihr Rock war so kurz, dass ich ihr gerüschtes pinkfarbenes Höschen sehen konnte. Sie trug ein ebenfalls pinkfarbenes Jeanshemd, das sie an der Taille verknotet hatte. Ihr Dekolletee glitzerte, sie trug rote
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