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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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schnarrte Zee, »Zeit zu verschwinden.«
    Seine Klauen drückten zu. Rex schrie auf, die Welt verblasste … in den Abgrund, verschluckt von einem Schlund reiner Finsternis. Meine rechte Hand brannte, und eine schreckliche Gier erfüllte mein Herz.
    Bringt uns in Sicherheit, dachte ich.
    Licht brannte auf der Netzhaut meiner Augen. Licht im Abgrund.
    Ich verlor das Gefühl für die Zeit, ich verlor mich selbst. Meine Innereien schlugen Purzelbäume, und als ich die Augen wieder öffnete, war ich irgendwo anders.
    Und allein.
    Ich rollte mich auf den Rücken. Es war Nacht. Über meinem Kopf schaukelten sanft die Zweige der Bäume, ich sah Sterne funkeln. Meinen Körper fühlte ich kaum. Ich hatte ein Gefühl, als triebe ich in meiner Haut.
    Dann hörte ich ein Baby weinen. Das leise Jammern erfüllte die Nacht. Ich richtete mich auf und bemerkte, dass Zee und die Jungs wieder auf meiner Haut waren, sie waren wieder Tätowierungen.
    Das stimmte aber irgendwie nicht. Ich musste wohl träumen.
    Also verhielt ich mich wie in einem Traum. Ich hatte auch keine andere Wahl. Ich dachte an Grant, an zu Hause und sogar an Rex und Byron, aber nichts geschah. Ich war noch immer von Bäumen umgeben, und das Baby weinte weiter.

    Also ging ich los. Meine Füße berührten den Boden nicht. Wie in einem Traum schwebte ich über der Erde, drängte mich durch den Wald, der sich um mich herum befand und dessen dicke Bäume weit auseinanderstanden und deren Blätter herbstlich welk und fahl waren. Ich fühlte mich innerlich weich, während ich so dahinging; die Wärme, die mein Herz umhüllte, dämpfte Furcht, Liebe und auch Ärger. Ich war ein Geist, und nur die gequälten Schreie des Babys schlugen sich wie Haken in mich hinein und zwangen mich. Sie sanken tief in mich ein.
    Ich ging weiter - und kurz darauf fand ich das Baby. Es war in eine weiche Decke gehüllt und lag auf einem Haufen trockenen Laubs. Es war klein, blass und hatte pummelige, kräftige Gliedmaßen. Es kann höchstens ein Jahr alt sein, dachte ich.
    Das kleine Mädchen war aber nicht allein.
    Zee war bei ihm. Die Jungs standen um das Kind herum, die Muskeln spielten unter ihrer Haut, die vom Mondlicht beschienen war und so weich wie flüssiger Obsidian wirkte. Sie betrachteten das Baby, dessen Schreie durchdringend und quälend erklangen. Es schockierte mich, sie zu sehen. Und sie schienen mich nicht einmal zu bemerken.
    Hinter ihnen im Boden befand sich ein Loch. Eine Frau lag darin, bedeckt von kleinen, dunkelroten Wildblumen und Muscheln, Dingen also, die nicht aus dem Wald stammen konnten, in dem ich mich befand. Doch sie waren so sorgfältig um und auf ihrem Körper verteilt, dass sie sie wohl sehr geliebt haben musste, als sie noch gelebt hatte.
    Sie sah ebenso aus wie ich, aber letztlich ähneln wir Jägerinnen uns alle. Blasse Haut, schwarzes Haar und feine Gesichtszüge. Man hatte sie gewaschen und in saubere, weiße Kleider gewandet. Doch über ihren Hals zog sich ein gezackter Schnitt,
der so tief ging, dass ich mich schon fragte, ob der Schlag beinahe ihren Kopf abgetrennt haben konnte.
    Rohw und Aaz blickten über ihre Schultern zu der Frau hinüber. Jedes Mal, wenn sie es taten, stießen sie leise, knurrige Schreie aus und fuhren sich mit den Krallen über ihre Bäuche, dass Funken flogen. Dek und Mal hingen um ihren Hals und wimmerten, Zee jedoch hatte nur Augen für das Baby.
    Unendlich behutsam hob er es hoch und drückte es an seine Brust. Ein stachliges Haar hatte er zurückgestrichen, dicht an den Schädel, und er schloss die Augen, während er leise Worte flüsterte. Doch das Baby hörte nicht auf zu weinen, und schließlich begannen die Jungs zu singen. Es war ein leises Lied ohne Worte, und die hohe Melodie war schlicht und sanft. Ihre Stimmen klangen unheimlich, wirkten wie ein Choral, als sie durch den Wald hallten, so als wären die Bäume die Wände einer Kirche und der Nachthimmel ein schwarzes Glasdach mit Sternen. Mir wurde ruhiger ums Herz, das allmählich angefangen hatte zu schmerzen, während das Baby leiser wurde. Eine Stille legte sich über alles - das war etwas Tieferes als nur ein Schweigen, während die Jungs ihre Münder schlossen und die Köpfe neigten. Wölfe, die beteten - Dämonen, die trauerten.
    Dek und Mal glitten über Zees Körper, und ich sah zu, wie sie einen lebenden Harnisch schufen, der das Baby fest an die tonnenförmige Brust des Dämons hielt. Ihre langen, warmen Körper schützten das Kind. Zee drückte es

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