In den Armen der Nacht
bemerkt, dass ich genau dasselbe mache. Jetzt haben sie den Sender ausgeschaltet. Ich würde also sagen, dass die Sache unentschieden ausgegangen ist.«
Trotzdem flog er einen Umweg und lenkte den Hubschrauber ein paar Minuten ziellos hin und her, um zu sehen, ob sie erneut versuchten herauszufinden, wo er war. Erst, als seine Geräte zeigten, dass das nicht der Fall war, landete er butterweich auf dem Dach der Pathologie.
Wie besprochen nahm Morris sie persönlich am Lieferanteneingang in Empfang. Er schloss die Türen sorgfältig wieder hinter ihnen zu.
»Nixie.« Er reichte ihr die Hand. »Ich bin Dr. Morris. Das mit deiner Familie tut mir furchtbar leid.«
»Sie haben ihnen nichts getan.«
»Nein, das habe ich nicht. Ich werde dich jetzt zu ihnen bringen. Level B.« Lautlos setzte sich der große Fahrstuhl in Bewegung, und Morris sah das Mädchen wieder an. »Ich weiß, dass Dr. Mira und Lieutenant Dallas
dir schon erklärt haben, was ich hier tue, aber falls du noch irgendwelche Fragen hast, schieß einfach los.«
»Ich habe einmal eine Sendung über einen Mann gesehen, der mit Toten arbeitet. Eigentlich hätte ich sie nicht sehen sollen, aber weil Coyle es durfte, habe ich mich heimlich mit ins Wohnzimmer geschlichen und sie auch geguckt.«
» Dr. Tod? Die habe ich auch schon ein paar Mal gesehen. « Die Tür des Lifts ging auf, und sie traten in einen langen, kühlen, weißen Flur. »Die ist ziemlich unterhaltsam, auch wenn nicht wirklich alles stimmt, was sie dort zeigen. Zum Beispiel mache ich nicht selber Jagd auf die Verbrecher, das überlasse ich lieber so fähigen Leuten wie Lieutenant Dallas oder Detective Peabody.«
»Manchmal müssen Sie sie aufschneiden.«
»Ja. Um vielleicht etwas herauszufinden, was der Polizei bei ihrer Arbeit hilft.«
»Haben Sie auch bei meiner Mom, meinem Dad und meinem Bruder was gefunden?«
»Alles, was Morris getan hat, hat uns geholfen«, meinte Eve.
Vor einer Flügeltür, deren kleines, rundes Fenster momentan verdeckt war, blieb die kleine Truppe stehen. Nixie versuchte Eves Hand zu nehmen, da diese jedoch beide Hände in die Hosentaschen stopfte, hielt sie sich erneut an Mira fest. »Sind sie da drinnen?«
»Ja.« Morris machte eine kurze Pause und sah sie fragend an. »Bist du bereit hineinzugehen?«
Nixie nickte stumm.
Natürlich würde sie es riechen, dachte Eve. Egal, wie viel Desinfektionsmittel sie dort verwendeten, wurde der Geruch des Todes, der Geruch der Körperflüssigkeiten und des toten Fleischs nie völlig überdeckt.
Sie würde es riechen und niemals vergessen.
»Kann ich als Erstes meinen Daddy sehen? Bitte.«
Ihre Stimme zitterte ein wenig, und als Eve auf sie herunterblickte, bemerkte sie ihr kreidiges, gleichzeitig aber entschlossenes Gesicht.
Auch sie selbst würde es nie vergessen, dachte Eve. Sie würde nie vergessen, wie tapfer dieses Mädchen war, während es darauf wartete, dass der Pathologe seinen Vater – kein Monster, sondern seinen Vater – aus einer der stählernen Schubladen zog.
Morris hatte die Halswunde nach Kräften überschminkt und den Leichnam mit einem blitzsauberen, weißen Laken zugedeckt. Trotzdem war und blieb er tot.
»Kann ich ihn berühren?«
»Ja.« Morris stellte einen Hocker neben die offene Lade, half ihr ihn zu erklimmen, blieb neben ihr stehen und legte leicht die Hand auf ihre Schulter, als sie federleicht mit ihren Fingerspitzen über die fahle Wange ihres Vaters strich.
»Er hat ein kratziges Gesicht. Manchmal hat er es an meinem Gesicht gerieben und mich dadurch zum Lachen gebracht. Es ist dunkel in der Schublade.«
»Ich weiß, aber ich glaube, dass es dort, wo er jetzt ist, nicht dunkel ist.«
Obwohl lautlose Tränen über ihre Wangen strömten, nickte sie tapfer mit dem Kopf. »Er musste in den Himmel, obwohl er es nicht wollte.« Als sie sich über den Toten beugte und ihn zärtlich auf die Wange küsste, stiegen auch in Eve heiße Tränen auf.
»Sie können ihn jetzt wieder reinschieben.« Sie stieg von dem kleinen Hocker, nahm das von Mira gereichte Taschentuch entgegen und sah wieder Morris an. »Vielleicht kann ich jetzt Coyle sehen.«
Sie strich ihrem Bruder sanft über das Haar und betrachtete so eingehend sein Gesicht, als wolle sie versuchen,
ihn noch einmal lebend vor sich zu sehen. »Vielleicht kann er jetzt die ganze Zeit Baseball spielen. Das macht er am liebsten.«
Dann fragte sie nach Inga und strich auch ihr über das Haar. »Manchmal hat sie Plätzchen mit
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