In den Armen des Eroberers
daß Richard nicht sein Sohn war, wissen wir nicht. Aber schon damals bestand kein Zweifel daran, daß Richard der Sohn meines Vaters war – er sah genauso aus wie ich in dem Alter, und es gab genug Menschen, die das bestätigen konnten. Wie auch immer, Richards Schicksal war besiegelt, als Webster ihn auf der Türschwelle auflas – eine Kutsche war vorgefahren, das warm eingewickelte Bündel war deponiert worden, dann raste die Kutsche davon. Kein Begleitbrief – nur Richard. Webster trug ihn ins Haus, und Richard begann unverzüglich zu brüllen. Es war ein Höllenlärm, daran erinnere ich mich genau, denn ich hatte so etwas noch nie gehört. Maman kämmte mir im Kinderzimmer gerade die Haare – wir hörten es bis ins Obergeschoß. Sie ließ Kamm und Bürste fallen und lief nach unten. Sie war schneller als ich. Ich konnte vom Treppenabsatz aus beobachten, wie sie sich auf Vater und Webster stürzte, die versuchten, Richard zum Schweigen zu bringen. Maman nahm ihnen den Kleinen aus den Armen – sie gurrte ein paar Worte, und Richard hörte auf zu schreien. Sie lächelte nur strahlend – du kennst das ja.«
Honoria nickte.
»Ich erkannte sofort, daß Richard ein Gottesgeschenk war - Maman war so hingerissen von ihm, daß sie mein zerzaustes Haar vergaß. Von Stund an konnte Richard sich meiner vollen Unterstützung gewiß sein. Mein Vater kam hinzu – ich glaube, er wollte versuchen zu erklären –, rückblickend tut es mir leid, daß ich nicht hörte, was er sagte, auch wenn ich es damals noch nicht verstanden hätte. Doch Maman lobte ihn für seine Klugheit, weil er ihr das geschenkt hatte, was sie sich am meisten wünschte – noch einen Sohn. Natürlich schwieg er. Von da an brachte Maman alle Einwände zum Verstummen – sie war seit fünf Jahren die Herzogin meines Vaters und genoß eine Vorrangstellung in der Gesellschaft. Sie erklärte öffentlich, Richard wäre ihr Sohn – niemand wagte es, weder damals noch heute, ihr zu widersprechen.« Honoria hörte das Lächeln in seiner Stimme.
»Der Umstand, daß sie Richard großziehen durfte, hat Maman wirklich glücklich gemacht. Es hat auch niemandem geschadet; mein Vater erkannte ihn an und bedachte ihn in seinem Testament.« Devil holte tief Atem. »Und das ist die Geschichte von dem Skandal, der keiner war.«
Honoria lag ganz still; Devil streichelte ihr Haar. »Jetzt weißt du also, daß Richard nicht mein Erbe ist.« Seine Hand glitt in ihren Nacken herab. »Er ist nicht derjenige, der mich umbringen will.«
Honoria lauschte dem regelmäßigen Klopfen seines Herzens. »Deine Mutter ist eine faszinierende Frau.«
Devil wälzte sich über sie, stützte sich auf die Ellbogen und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. »Meinen Vater hat sie tatsächlich fasziniert.« Honoria spürte seinen Blick, dann senkte er den Kopf und streifte mit den Lippen ihren Mund. »Genauso, wie meine Herzogin mich fasziniert.«
Das waren die letzten verständlichen Worte, die in dieser Nacht gesprochen wurden.
Honoria mußte ein langes, ernstes Gespräch mit ihrem Gatten führen. In ihrem dünnen elfenbeinfarbenen, mit Straußenfedern abgesetzten Negligé schritt sie im herzoglichen Gemach auf und ab und wartete auf Devil.
Sie hatten sich beim Frühstück und dann noch einmal beim Dinner gesehen, aber vor den Dienstboten hatte sie ihn wohl schwerlich befragen können. Zur Zeit traf er sich bei White's mit Viscount Bromley. So viel wußte sie, das hatte er ihr erzählt. Doch was er dachte, wen er verdächtigte, das hatte er ihr nicht erzählt.
Da Richard ein illegitimer Sohn war, konnte er nicht erben, nicht, solange es so viele legitime männliche Nachkommen in der Familie gab. Nachdem Honoria erfahren hatte, wie Scandal zu seinem Namen gekommen war, hatte sie nicht mehr fragen müssen, wer Devils Erbe war. In den Wochen vor ihrer Hochzeit hatte sie Horatia über Devils Vater ausgefragt – beiläufig erwähnte Horatia da auch, daß George, ihr eigener Gatte und Vanes Vater, nur knapp ein Jahr jünger war als Devils Vater. Und das bedeutete, daß George, wenn Richard nicht in Frage kam, der Erbe war, gefolgt von Vane.
Nicht in ihren wildesten Träumen konnte Honoria sich George als den Schurken in diesem Stück vorstellen. Für Devil war er eine Art Ersatzvater, und George erwiderte seine Zuneigung ganz eindeutig. Und Vanes Loyalität Devil gegenüber war über jeden Zweifel erhaben. Also war der Mörder nicht Devils Erbe, und doch war Vane, kaum daß sie ihren
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