In den Armen des Feindes
viel genommen hatte. Fast eine Stunde später, nachdem er sich die Geschichte zwei Mal in allen Details hatte erklären lassen und Rosalind dann noch ausgiebig über den Vorfall ausgefragt hatte, schüttelte Malcolm den Kopf, als wollte er ihr widersprechen.
"Du sagst, dass es in jener Nacht keinen Angriff gab. Gab es auch keinen Überfall, weder vor noch nach dem Feuer?"
Rosalind nickte.
"Oder wurden irgendwelche Schafe fortgetrieben?"
"Nein."
Er ging im Gemach auf und ab und strich sich gedankenvoll das Kinn. Rosalind dachte, dass er wohl ebenfalls so aussah, wenn er vor einer Schlacht seine Strategie ausarbeitete. An dem strengen Blick seiner blauen Augen konnte sie erkennen, dass er scharf nachdachte, während er vor sich hin murmelnd durch den Raum ging.
"Du musst herausbekommen, wer die Feinde deines Vaters waren, Rosalind. Glaub mir, das Feuer von Beaumont war nicht der zufällige Angriff einer Horde schottischer Spitzbuben, sondern ein ganz bewusster Schlag gegen deine Familie."
"Ich weiß, dass du dein Volk schützen willst, Malcolm, aber ich lebe lang genug hier im Grenzland, um zu wissen, dass unsere Völker scheinbar völlig grundlos gegeneinander gewalttätig werden können."
"Ja, aber das hier ist etwas anderes. Robert the Bruce hat niemals so einem Überfall zugestimmt, denn sonst hätte er mich nicht gebeten, Beaumont für ihn zu erobern. Es wäre dann schon in seinem Besitz gewesen." Er unterbrach sein rastloses Umhergehen und sah sie forschend an. "Was weißt du über die üblichen Grenzüberfälle? Was geschieht, wenn die Schotten hierher kommen?"
"Schafe werden gestohlen. Manchmal wird die Ernte verbrannt, zusammen mit einigen Hütten der Leibeigenen."
"Ja. Die Schotten kommen hier herunter, um eure Schafe zu stehlen. Auf diese Weise zerstören sie euren Lebensunterhalt und verbessern den ihren. Sie verbrennen eure Ernte, um euch noch mehr zu schädigen. Doch wie oft hörst du von einer Burg, die in Brand gesetzt wird, ohne dass etwas gestohlen wird? Warum sollte irgendein selbstbewusster Schotte des Grenzlands sich die Mühe machen, so etwas zu tun, ohne einen einzigen Beweis für seine Tat mitzunehmen?"
Rosalind zuckte die Achseln.
"Er würde es nicht tun", donnerte Malcolm, dass seine Stimme von den Wänden widerhallte. "Das ergibt keinen Sinn, Mädchen. Und wir Schotten sind ein praktisches Volk. Ich sage dir, dieses Verbrechen klingt nicht nach einem Überfall, den ein Schotte im Namen des Kriegs begehen würde. Wenn du mir erzählst, dass nichts gestohlen wurde, dann sagt das alles. Kein Schotte würde den Zorn Englands erregen und das strafende Schwert Edwards riskieren, wenn es bei der Sache für ihn nichts zu gewinnen gäbe."
"Vielleicht dachten die Angreifer, dass sie die Burg niederbrennen könnten, ohne dass jemand zurückbliebe, der dem König von dem Verbrechen erzählen würde."
"Als ob es Edward nicht merken würde, wenn es eine seiner besten Grenzlandburgen nicht mehr gäbe! Und wen wird er sofort für die Schuldigen halten? Denkst du, er würde noch lange darüber nachdenken? Wohl kaum! Sein Verdacht fiele natürlich auf die Schotten. Verstehst du jetzt, warum das ein gutes Verbrechen für einen Feind ist, der nach Rache dürstet? Der Angreifer wusste, dass man den Schotten die Schuld geben würde. So musste er nicht befürchten, dass irgendwer mit dem Finger auf ihn deuten würde."
Rosalind gab zu, dass seine Überlegungen sie überzeugten. "Nur glaube ich nicht, dass mein Vater irgendwelche Feinde hatte. Jeder achtete ihn."
"Und wie stand es innerhalb der Burgmauern? Hatte er vielleicht einen neidischen jüngeren Bruder? Gab es irgendwelche Ritter, die sich über seine Erfolge auf dem Schlachtfeld ärgerten?"
Rosalind schüttelte den Kopf. "Du willst doch nicht im Ernst unterstellen, dass der Brand im Innern der Burg entstanden sein könnte?"
"Du sagtest, dass alle Männer, die in der Nacht auf den Burgmauern waren, den Flammen entkamen. Nur diejenigen, die im südlichen Turm schliefen, saßen in der Falle." Er setzte sich neben sie ans Fußende des Bettes. "Ich fürchte, du solltest darüber nachdenken, wer deinem Vater den Tod gewünscht hat. Das ist der einzige Grund, den ich mir für solch ein furchtbares Verbrechen denken kann."
"Ich dachte nie …" Rosalind stockte die Stimme. Malcolms Schlussfolgerungen warfen ein ganz neues Licht auf das Geschehen, und das verwirrte sie ungemein. Alles passte zusammen, und doch wünschte sie sich nichts mehr, als
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