In den Armen des Schotten
die Galerie geöffnet war. »Als ich mich gestern Abend voller Entsetzen in meinem Haus versteckte, wurde mir plötzlich klar, dass mich sein Anblick nicht umbringt. Weißt du eigentlich, wie wütend es mich macht, wenn ich vor irgendetwas Angst habe? Und die letzten vier Monate hab ich Wayne zu einem furchteinflößenden grausamen Monster hochstilisiert. Aber gestern Abend habe begriffen, dass er auch nur ein Mann ist.« Sie zuckte die Achseln. »Ich habe mir selber mehr geschadet, als er es je hätte tun können.«
Winter starrte sie mit offenem Mund an und war sprachlos.
»So«, meinte Megan und rieb sich die Hände. »Möchtest du, dass ich weiter abstaube, oder soll ich mit der Inventur beginnen?«
»Wissen Mom und Dad, dass er hier ist?«
»Nein, und ich möchte auch nicht, dass du es ihnen sagst. Ich werde es ihnen selber erzählen, sobald ich herausgefunden habe, was er will.«
»Vielleicht sollte Matt es übernehmen, mit ihm zu reden. Oder Robbie.«
»Nein, nein. Ich will keinen von beiden da reinziehen. Das mit Wayne habe ich mir selber eingebrockt.«
Winter sprang plötzlich auf und zog Megan wieder in den Hinterraum. »Er ist gerade vorbeigegangen«, flüsterte sie. Dann streckte sie die Hand aus und schob den Riegel der Hintertür vor, die die Galerie mit Dolans Geschäft verband. »Ich glaube, er will nach nebenan zu Rose. Jemand hat letzte Nacht schon wieder das Geweih gestohlen, und dieses Mal haben sie auch noch das Anschlagbrett mitgenommen.«
Megan machte sich los, strich ihren Pullover glatt, schob sich die Haare hinter die Ohren und ging wieder zum Empfangstisch zurück. »Ich verstecke mich nicht vor Wayne. Wenn wir uns zufälligerweise in der Stadt begegnen, dann ist das sein Problem.«
»Okay«, meinte Winter mit rotem Gesicht. »Aber versprich mir, dass deine Aussprache mit ihm an einem öffentlichen Ort stattfindet.«
»Warum? Glaubst du etwa, dass er mit mir durchbrennt? Die Chance habe ich ihm damals in Kanada gegeben, und er hat mir mein Angebot vor die Füße geworfen. Er hat seine Gelegenheit verspielt.«
7
J eder einzelne Muskel tat Jack weh, seine linke Hand wollte nicht aufhören zu bluten, und wenn er noch die Kraft gehabt hätte, hätte er sich selbst dafür in den Hintern getreten, seine eigene Regel – nicht bei der Polizei zu arbeiten – gebrochen zu haben. Er hatte es gewusst, aber hatte es ihn davon abgehalten, diesen Job anzunehmen, damit er in Megans Nähe war? Nein. Und heute war er unmissverständlich daran erinnert worden, dass es in jeder noch so verschlafenen kleinen Stadt eine dunkle Seite aus Unterdrückung und Missbrauch gab.
Er hatte es fast geschafft, John Bracket so weit zu beruhigen, dass er ihm Handschellen anlegen und ihn in den Streifenwagen verfrachten konnte, als plötzlich aus dem Nichts dieser Mistköter aufgetaucht war. Das Handgemenge, das dann folgte, hatte Simon Pratts Psyche sicher schwer erschüttert, und es würde bestimmt sehr lange dauern, ehe Jack wieder ruhig atmen konnte.
Fast hätte er seine Waffe gezogen und den Hund erschossen, als dieser endlich von seiner Hand abgelassen und auf Simon losgegangen war. Nur Brackets wuchtiger rechter Aufwärtshaken hatte ihn davon abgehalten. Und Mrs. Bracket war auch nicht gerade eine Hilfe gewesen. Die hatte nur Zeter und Mordio geschrieen, während sie trotz ihrer blutenden Lippe, dem blauen Auge und dem verstauchten Handgelenk hinter dem Hund hergejagt war. Den Vorwurf des tätlichen Angriffs auf einen Polizeibeamten hätte er den anderen Anklagepunkten eigentlich auch noch hinzufügen sollen, als er Bracket schließlich festgenommen und ins örtliche Gefängnis gebracht hatte. Doch er konnte die beiden Kinder nicht vergessen, die mit weit aufgerissenen Augen aus dem Fenster geschaut hatten. Und da er wusste, dass Bracket der Versorger der Familie war, hatte Jack Simon dazu überredet, den Vorfall zu vergessen, indem er versprach, Bracket genau im Auge zu behalten, wenn dieser wieder nach Hause zurückkehrte. Das war ein weiteres Problem in kleinen Orten … es war fast unmöglich, nicht persönlich betroffen zu sein.
Mit einem ärgerlichen und müden Stöhnen stieg Jack aus seinem Wagen und humpelte die Verandastufen hinauf. Er wusste nicht, was ihn wütender machte: dass Mrs. Bracket ihren Mann unter Garantie morgen auf Kaution herausholen würde oder dass er nicht mit Megan würde reden können, wie er es den ganzen Tag vorgehabt hatte. Er dachte gar nicht daran, auf ihrer
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