In den Armen des Sizilianers
was hatte sie eigentlich erwartet? Sie kannte Vincenzo gut genug und hätte sich denken können, dass er die ungeheure Neuigkeit nicht einfach hinnehmen würde. Hatte sie gehofft, er würde verständnisvoll nicken, in die Scheidung einwilligen und sich höflich erkundigen, wann er seinen Sohn besuchen dürfe? Wie dumm war sie doch gewesen!
Immerhin hatte die Sache einen Vorteil: Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie alles hinter sich hatte. Sie brauchte keine Angst mehr zu haben vor Vincenzos Reaktion. Auf den ersten Blick würde er erkennen, dass Gino sein Sohn war. Natürlich entstanden jetzt neue Probleme, aber sie hatte zumindest das Richtige getan. Vielleicht konnten sie sich einigen und einen vernünftigen Kompromiss schließen, sobald er seinen Zorn und seinen Ärger überwunden hatte.
„Wer hat das Kind denn heute betreut?“, brach Vincenzo das Schweigen. Es klang wie eine Anklage.
„Meine Freundin Joanna.“
„Ah ja.“ Er verzog die Lippen. „Hat sie Erfahrung im Umgang mit Kindern?“
„Sie hat einen Sohn in Ginos Alter“, erwiderte Emma und ärgerte sich, dass sie sich rechtfertigen musste. Dennoch wollte sie ihm beweisen, dass sie eine gute Mutter war, und fügte hinzu: „Sie geht sehr liebevoll mit Gino um. Heute Abend hat sie ihr Kind bei ihrem Mann gelassen, um Gino nach Hause zu bringen, ihn in sein eigenes Bett zu legen und so lange bei ihm zu bleiben, bis ich zurückkomme.“
Er trommelte mit dem Finger auf seinen Oberschenkel. „Wie oft lässt du dein Kind von anderen betreuen, um nach London zu fahren und dich mit Männern zu amüsieren?“
Was für eine ungeheuerliche Anschuldigung!, dachte Emma fassungslos. Sie schüttelte den Kopf und sah Vincenzo an. „Wie kannst du es wagen, mir so etwas zu unterstellen?“
„Heißt das, heute war eine Ausnahme?“
„Du weißt ganz genau, dass es so ist.“
Ja, da hat sie recht, gestand er sich insgeheim ein. Sie wirkte immer noch so unnahbar wie damals, und genau das hatte ihn von Anfang so fasziniert, dass er sie unbedingt hatte erobern wollen.
Andererseits hatte er als Sizilianer bestimmte Vorstellungen davon, wie eine Frau sich verhalten sollte und wie nicht, wenn es um Sex ging. In der Hotelsuite hatte Emma sich heute wie eine leidenschaftliche Geliebte aufgeführt und nicht wie die Mutter eines kleinen Kindes, das zu Hause auf sie wartete. Obgleich er das Zusammensein mit ihr genossen hatte, hinterließ es bei ihm ein großes Unbehagen.
Er wandte sich ab und blickte zum Fenster hinaus auf die Landschaft, die in der Dunkelheit kaum zu erkennen war. Schließlich bog der Chauffeur von der Hauptstraße ab und fuhr durch ein beeindruckendes Tor über die mit hohen Bäumen gesäumte Einfahrt auf ein imposantes Haus zu, dessen Fenster hell erleuchtet waren.
„Hier wohnst du?“, fragte Vincenzo verblüfft.
Wie gern würde ich es bestätigen und behaupten, ich hätte das alles nur gespielt, um mich über ihn lustig zu machen, überlegte sie.
„Ganz bestimmt nicht“, antwortete sie spöttisch. „Ich wohne in dem Cottage da drüben, ich habe es gemietet.“ Sie wies in die Richtung. „Wir müssen rechts abbiegen und dann an dem kleinen See entlangfahren.“
Vincenzo gab seinem Chauffeur auf Italienisch entsprechende Anweisungen, und der Mann hielt den Wagen schließlich vor dem March Cottage, wie das Haus hieß, an. Überrascht kniff Vincenzo die Augen zusammen. Mit einer solchen Idylle hatte er nicht gerechnet.
Es war ein winziges, hübsches Haus mit begrünten Stein-wällen und vielen Pflanzen vor der Haustür, über der eine altmodische Laterne hing. Es erinnerte an ein Postkartenmotiv.
Als sie ausstiegen, blies ihnen der kalte Wind ins Gesicht. Emma rieb sich die vor Nervosität feuchten Hände und fragte sich, was Vincenzo wohl beim Anblick des Cottage denken mochte. „Ich gehe rasch allein hinein und warne …“
„Nein“, unterbrach er sie und hielt sie am Handgelenk fest. Mit großen Augen sah sie ihn an. „Du brauchst niemanden zu warnen, Darling“, erklärte er gefährlich sanft. „Wir gehen zusammen.“
Emma hatte das Gefühl, in der Falle zu sitzen – aber warum? Es war ihr Zuhause, nicht seins. Er war nur mitgekommen, um sich zu überzeugen, dass das Kind nicht von ihm war. Allerdings würde er eine Überraschung erleben.
„Hallo!“, rief sie, als sie die Haustür öffnete und das Licht im Wohnzimmer bemerkte.
Joanna lag in eine Wolldecke gehüllt auf dem Sofa und sah fern. Neben ihr auf dem Boden
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