In den Fängen der Macht
kämpfen.
Lyman Breeland stand abseits. Es war unmöglich, aus der Blässe seines Gesichts zu schließen, was er dachte. Er war frei, aber weder sein Charakter noch seine Passion waren auf Verständnis gestoßen, so wie er es sich gewünscht hatte. Wenigstens war er sensibel genug, die Qual zu spüren, von der sie nun alle befreit waren. An dieser Wiedervereinigung der Familie hatte er keinen Anteil. Ihnen blieb die Trauer, der Zorn, all das, was unausgesprochen bleiben musste und nicht einmal gedacht werden durfte.
Merrits Augen füllten sich mit Tränen. Vielleicht war es der Anblick ihrer Mutter in der schwarzen Trauerkleidung, der jegliche Farbe und Vitalität abhanden gekommen war, aufgesogen zunächst von dem schrecklichen Tod ihres Gatten und dann von der Angst um ihre Tochter.
Judith breitete ihre Arme weit aus.
Still trat Merrit vor, und sie fielen sich in die Arme. Merrit begann zu schluchzen, ließ all dem Schrecken und Schmerz freien Lauf, den sie während des letzten Monats, seit Hester ihr vom Tod ihres Vater berichtet hatte, so verzweifelt unter Kontrolle gehalten hatte.
Philo Trace kniff einige Male krampfhaft die Augen zusammen, dann drehte er sich um und ging.
Robert Casbolt blieb.
Rathbone trat aus der Tür des Gerichtssaals und lächelte. Horatio Deverill war ein paar Schritte hinter ihm, er wirkte immer noch überrascht, schien dem Kollegen aber nichts nachzutragen. Beide gingen an Breeland vorüber, scheinbar ohne ihn zur Kenntnis zu nehmen.
»Haben Sie das absichtlich getan?«, fragte Deverill und schüttelte Rathbone die Hand. »Ich dachte wirklich, ich hätte Sie, wenn schon nicht auf Grund der Fakten, so doch, weil ich es mir vorgenommen hatte. Ich bin immer noch nicht sicher, ob ich nicht irgendwie durch einen Taschenspielertrick zu Fall gebracht wurde.«
Rathbone lächelte nur.
Merrit und Judith lösten sich aus der Umarmung, und Judith dankte Rathbone mit vollendeter Höflichkeit, woraufhin sie sich ein paar Schritte entfernten. Merrit wandte sich zu Hester um.
»Ich danke Ihnen«, sagte sie leise. »Sie und Mr. Monk haben viel mehr für mich getan, als ich es jemals in Worte fassen könnte.« Immer noch zeichneten sich auf ihrem Gesicht Verwirrung und Niedergeschlagenheit ab.
Hester wusste, warum. Der Sieg des Freispruchs war schwer überschattet von dem desillusionierenden Erlebnis, dass Breeland sich von ihr zurückgezogen hatte. Nun, da die unmittelbare Gefahr gebannt war, musste sie zu einer Entscheidung kommen. Sie waren nicht länger durch äußere Umstände aneinander gekettet. Plötzlich war es eine Frage der freien Entscheidung. Dass sie überhaupt eine Entscheidung treffen musste, war schmerzlich genug, und ihr Elend war offensichtlich.
»Es war ein sehr zweifelhaftes Vergnügen, nicht wahr?«, erwiderte Hester ebenso leise. Sie wollte nicht, dass jemand ihre Unterhaltung mithörte, und da um sie herum viele Unterhaltungen geführt wurden, war es nicht schwierig, sich in das Meer der Stimmen zu mischen.
Merrit antwortete nicht. Sie konnte sich immer noch nicht dazu überwinden, zu sagen, dass ihre Sicherheit zerronnen war. Der Feldzug war ruhmreich gewesen, aber es war nicht wirklich Liebe, reichte nicht für eine Ehe aus.
»Es tut mir Leid«, sagte Hester aus tiefster Seele. Auch sie hatte Träume betrauert und kannte den Schmerz.
Merrit senkte die Lider. »Ich verstehe ihn nicht«, hauchte sie.
»Er hat mich nie geliebt, nicht wahr? Nicht so, wie ich ihn liebte.«
»Er liebt dich vermutlich so innig, wie er es vermag.« Hester zerbrach sich den Kopf, um die Wahrheit zu begreifen.
Merrit sah auf. »Was soll ich tun? Er ist ein ehrenwerter Mann. Ich wusste immer, dass er nicht schuldig war! Nicht nur, dass er nicht selbst dort gewesen war, sondern auch, dass er Shearer nicht dazu überredet hatte, es zu tun.«
»Bist du sicher, dass er die Gewehre nicht genommen hätte, wenn er gewusst hätte, dass sie mit Blut befleckt waren?«, fragte Hester.
Merrit schluckte. »Nein…«, flüsterte sie. »Er hält die Sache für wichtig genug, um alle Mittel zu rechtfertigen, die ihr dienen könnten. Ich… Ich glaube nicht, dass ich seine Auffassung teilen kann. Ich kann sie nicht nachempfinden. Vielleicht ist mein Idealismus nicht stark genug. Ich habe nicht diese großartige Vision. Vielleicht bin ich auch nicht so gut wie er…« Letzteres war fast eine Frage. Das Flehen um eine Antwort lag in ihren Augen. Sogar jetzt war sie noch überzeugt, der Fehler läge bei
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