In den Fängen der Macht
drängte Monk.
»Genau.«
Cummins dachte einen Augenblick lang nach. »Es war am Abend, bevor Mr. Alberton ermordet wurde. Aber ich nehme an, das wissen Sie bereits und sind deshalb hier. Wir sprachen über den Transport von Nutzholz nach Bath. Wie ich schon sagte, war er in bester Stimmung. Wir nahmen das Dinner gemeinsam ein, im Hanley Arms, neben der Omnibusstation an der Hornsey Road.«
»Um welche Zeit brachen Sie auf?«
Cummins wirkte besorgt. »Was, um Himmels willen, denken Sie bloß, Mr. Monk?«
»Ich weiß es nicht. Also, um welche Zeit?«
»Es war spät. Ungefähr elf Uhr. Wir… wir speisten ziemlich ausgiebig. Er sagte, er würde in die Stadt zurückfahren.«
»Wie? Mit einer Droschke?«
»Mit dem Zug vom Bahnhof in Seven Sisters aus. Er liegt am unteren Ende der Straße, in der sich das Hanley Arms befindet, noch ein kleines Stück weiter.«
»Wie lange dauert die Fahrt?«
»Um diese Nachtstunde? Es sind nicht viele Haltestellen: Holloway Station, durch den Copenhagen-Tunnel dann zu King’s Cross. Knapp eine Stunde. Warum? Ich wollte, Sie würden mir sagen, was Sie denken!«
»Hat Sie jemand zusammen gesehen, der bezeugen könnte, wann Sie gegangen sind?«
»Wenn Sie wollen, fragen Sie doch den Wirt des Hanley Arms. Warum?« Cummins Stimme klang jetzt schrill vor Sorge.
»Weil ich glaube, dass er um halb ein Uhr nachts auf dem Bahnhof Euston Square war«, antwortete Monk und erhob sich.
»Was bedeutet das?«, fragte Cummins und stand ebenfalls auf.
»Das bedeutet, dass er nicht in der Tooley Street gewesen sein kann«, erwiderte Monk.
Cummins erschrak. »Dachten Sie etwa, er wäre dort gewesen?
Gütiger Gott! Sie… Sie dachten doch wohl nicht, er wäre das gewesen? Nicht Walter Shearer! Er war ein hartgesottener Mann, wollte immer den besten Preis erzielen, aber er war ein sehr loyaler Angestellter. Oh, nein…« Er hielt inne. Er sah in Monks Gesicht, dass es nicht notwendig war, mehr zu sagen.
»Es war der Amerikaner!«, schlussfolgerte er.
»Nein, der war es nicht«, entgegnete Monk. »Ich weiß nicht, wer, zum Teufel, es getan hat! Könnten Sie Ihre Aussage beschwören?«
»Natürlich! Das werde ich! Es ist die reine Wahrheit!«
Monk überprüfte die Aussage bei dem Wirt des Hanley Arms, bekam die Antwort, die er erwartet hatte, und außerdem die Bestätigung der Wirtin. Dann verfolgte er Shearers Spuren zum Euston Square, woraufhin ihm noch zweiunddreißig Minuten blieben, für die er keinen Zeugen hatte. Aber niemand hätte in dieser Zeit nach Süden in die Tooley Street fahren, drei Männer ermorden und sechstausend Gewehre verladen können. Er könnte allerdings am King’s Cross ausgestiegen und von dort zum Euston Square gegangen sein und eine Wagenladung voller Waffen in Empfang genommen haben, die dort für ihn abgestellt worden war und bereits auf ihn wartete.
Noch am selben Abend berichtete er all das Rathbone.
Am Morgen bat Rathbone das Gericht, sich für eine ausreichend lange Zeit zu vertagen, bis der Wirt des Hanley Arms herbeigerufen werden konnte. Dies wurde ihm zugestanden.
Bis zum frühen Nachmittag waren alle Zeugenaussagen gemacht, und sowohl Deverill als auch Rathbone hatten ihre Schlussplädoyers gehalten. Niemand wusste, wer Alberton und die zwei Wächter in der Tooley Street ermordet hatte, aber es war ziemlich klar, dass es weder Breeland noch Shearer in Breelands Auftrag oder mit dessen Wissen gewesen sein konnte. Rathbone vermochte nicht zu sagen, wie Breelands Uhr auf den Hof gekommen war, und er konnte nicht erklären, wie die Waffen aus der Tooley Street zum Bahnhof Euston Square gekommen waren, dennoch kehrten die verwirrten und unzufriedenen Geschworenen aus der Beratung zurück und verkündeten das Urteil: Nicht schuldig.
Judith erlitt vor Erleichterung einen Schwächeanfall. Ihr genügte die pure Tatsache, dass Merrit von der drohenden Todesstrafe befreit war.
Hester stand in dem überfüllten Korridor vor dem Gerichtssaal und beobachtete Merrit, die zunächst zögerlich auf ihre Mutter zuging.
Philo Trace stand etwa zwölf Schritte von ihnen entfernt zur Linken. Er wollte sich dem Kreis nicht anschließen, aber es war ihm anzusehen, wie wichtig es ihm war, dass Judith glücklich werden würde.
Robert Casbolt stand näher bei ihr, er hatte ein blasses Gesicht und war von dem emotionalen Aufruhr der Verhandlung völlig erschöpft, doch nun war er, wenngleich nicht entspannt, so doch nicht mehr dazu gezwungen, für Merrits Rettung zu
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