In den Fängen der Macht
stirnrunzelnd. »Du verfügst über alle Qualitäten, die sich ein Mann nur wünschen kann, und überdies hast du dich in Situationen größter Bedrängnis bewährt. Ich kann mir nicht vorstellen, eine Frau zu finden, die ich mehr anbete als dich.«
Merrit atmete tief durch. An ihrem Gesicht erkannte Hester, dass sie zu einem endgültigen Entschluss gekommen war.
»Liebe ist mehr als Bewunderung, Lyman«, sagte Merrit und schnappte nach Luft. »Liebe bedeutet, sich um jemanden zu kümmern, ob er auf dem Irrweg oder auch auf dem richtigen Weg ist. Liebe bedeutet, die Schwächen des anderen zu schützen, ihn zu behüten, bis er die Stärke wiedererlangt hat. Liebe bedeutet, die kleinen und die großen Dinge miteinander zu teilen.«
Er sah wie betäubt aus, als hätte sie ihn geschlagen und er hätte keine Ahnung, weshalb.
Dann verbeugte er sich ganz langsam, drehte sich um und stolzierte davon.
Sie schien zu würgen, holte Luft, als wollte sie ihn zurückrufen und schwieg dann doch.
Judith kam auf sie zu, legte die Arme um sie und ließ sie weinen. Es war ein inniges heftiges Schluchzen, das das Ende eines Traumes bedeutete und doch bereits die Spur von Erleichterung in sich barg.
12
Monk und Hester gingen zum Dinner aus und genossen exzellenten pochierten Fisch mit frischem Gemüse und Pflaumenkuchen mit Schlagsahne. Arm in Arm spazierten sie nach dem Essen durch die ruhigen, von Laternen erleuchteten Straßen nach Hause. Zwischen den Dachfirsten und den wenigen noch erhellten Fenstern wölbte sich ein Regenbogen über den Himmel.
»Wir wissen immer noch nicht, wer Daniel Alberton ermordete«, sagte Hester schließlich. Sie hatten den ganzen Abend lang beide davon Abstand genommen, das Thema anzusprechen, aber nun war es nicht länger zu vermeiden.
»Nein«, erwiderte er düster und drückte sie fester an sich. »Wir wissen nur, dass es Breeland nicht war, nicht einmal indirekt. Und Shearer konnte es auch nicht gewesen sein. Wer bleibt uns dann?«
»Ich weiß es nicht«, gab sie zu. »Was geschah mit den anderen fünfhundert Flinten?«
Mehrere Minuten lang schwieg Monk und spazierte mit gesenktem Kopf dahin.
»Glaubst du, Breeland nahm auch die und log uns an?«, fragte sie.
»Warum sollte er?«
»Das Geld? Vielleicht war es nicht genug, was er bezahlte?«
»Da es von dem Geld ohnehin keine Spur gibt, scheint es für Diebstahl keinen Grund zu geben«, erklärte er.
Darauf gab es keine Antwort. Wieder gingen sie eine Weile dahin, ohne zu sprechen. Sie trafen ein anderes Paar und nickten höflich. Die Frau war jung und hübsch, und der Mann bewunderte sie ganz offensichtlich. Hester fühlte sich wohl und beschützt, nicht vor Schmerz oder Verlust, aber vor der Qual zerbrechender Illusionen. Sie drückte Monks Arm ein wenig fester.
»Was hast du?«, fragte er.
»Nichts«, erwiderte sie lächelnd. »Hat nichts mit Daniel Alberton zu tun, dem armen Mann. Ich möchte wirklich wissen, was geschah… und ich möchte es beweisen können.«
Er lachte kurz auf und drückte sie fest.
»Ich kann diese Erpressungsgeschichte nicht vergessen«, fuhr sie fort. »Ich glaube nicht, dass das zeitliche Zusammentreffen purer Zufall war. Aus dem Grunde hatte er dich ja zu sich gebeten. Und der Erpresser trat nie mehr wieder auf! Piraten geben doch nicht auf, oder?«
»Aber Alberton ist tot!«
»Das weiß ich! Aber Casbolt ist am Leben! Warum wandten sie sich nicht an ihn? Auch er unterstützte Gilmer mit Geld.«
Sie überquerten die Straße und traten auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf den Bürgersteig, immer noch eine halbe Meile von Zuhause entfernt.
»Die hässlichste Antwort darauf ist, dass sie gar nicht aufgaben«, entgegnete er. »Wir wissen immer noch nicht, was mit dem Prahm geschah, der flussabwärts fuhr, wer ihn steuerte und was er geladen hatte. Gewiss wurde irgendetwas aus den Lagerhallen der Tooley Street herausbefördert. Da sind fünfhundert Flinten, über deren Verbleib wir nichts wissen… das ist genau die Anzahl, die die Piraten gefordert hatten.«
»Denkst du etwa, Alberton hätte sie ihnen doch verkauft?«, fragte sie leise. Dies war ein Gedanke, den sie seit Tagen zu verdrängen versucht hatte. Die Anspannung während der Gerichtsverhandlung hatte ihr dabei geholfen, aber nun konnte sie ihn nicht länger vermeiden. »Warum hätte er das tun sollen? Judith hätte es verabscheut.«
»Vermutlich hatte er die Absicht, es ihr oder auch Casbolt niemals zu erzählen.«
»Aber warum?«,
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