In den Fängen der Macht
ihr, dass sie es sei, der ein gewisser Edelmut fehlte, der sie befähigen würde, die Dinge so zu sehen wie er.
»Nein«, sagte Hester entschieden. »Nur die Masse zu sehen und das Individuum zu vernachlässigen, das ist kein Edelmut. Du verwechselst emotionale Feigheit mit Ehre.« Während sie sprach, wurde sie sich ihrer Sache immer sicherer. »Zu tun, was du für richtig hältst, ist gut, selbst wenn es schmerzt, deiner Pflicht nachzugehen, selbst wenn es auf Kosten einer Freundschaft oder gar einer Liebe geht. Es ist edelmütig und eine große Vision, natürlich. Aber sich der persönlichen Beziehung zu entziehen, der Güte und der Liebe, um sich stattdessen dem Heidentum einer allgemeinen Sache zu widmen, wie wichtig sie auch sein mag, das ist eine Art von Feigheit.«
Merrit schien immer noch zu zweifeln. Zum Teil verstand sie, aber sie hatte nicht die Worte gefunden, um es sich selbst klarzumachen. Sie runzelte die Stirn und kämpfte darum, die Erkenntnis endgültig zu akzeptieren, vor der sie seit Tagen versucht hatte, die Augen zu verschließen.
»Ich könnte niemanden lieben, der mich über seine Überzeugungen stellen würde. Ich meine… ich könnte ihn lieben, aber nicht mit ganzem Herzen, nicht wie ich es mir wünschen würde.«
»Das könnte ich auch nicht«, stimmte Hester zu und sah die momentane Erleichterung in Merrits Augen, bevor die Verwirrung zurückkehrte. »Ich möchte, dass er tut, was er für richtig hält, egal, wie weh es tut. Das ist der Unterschied.«
Merrit bebte und war kurz davor, in Tränen auszubrechen.
»Ich… ich dachte wirklich… aber man kann nicht so leicht loslassen, nicht wahr?«
»Nein.« Hester berührte zärtlich ihren Arm. »Natürlich nicht. Aber mit ihm zu gehen, die ganze Zeit etwas vorzutäuschen und zuzusehen, wie die Wirklichkeit immer unerträglicher wird, ich glaube, das wäre noch schwieriger.«
Breeland kam auf sie zu. Er sah ein wenig verlegen aus, unsicher, was er nun sagen sollte, da die Anspannung gewichen war. Er hatte die Waffen, seine Unschuld hatte sich erwiesen und er war freigesprochen. Vielleicht bemerkte er die Distanz um ihn herum nicht einmal.
Judith drehte sich um, um sie zu beobachten, aber sie blieb, wo sie war.
»Ich danke Ihnen für Ihre Bemühungen, die Sie unseretwegen auf sich genommen haben, Mrs. Monk«, sagte Breeland steif.
»Ich bin sicher, Sie taten es, weil Sie es für richtig hielten, trotzdem sind wir dankbar.«
»Sie irren sich«, sagte Hester und erwiderte seinen Blick. »Ich hatte keine Ahnung, ob es richtig oder falsch war. Ich tat es, weil ich um Merrit besorgt war. Ich hoffte, sie würde unschuldig sein, und daran glaubte ich, solange ich konnte, weil ich es wollte.
Glücklicherweise kann ich jetzt immer noch an ihre Unschuld glauben.«
»Das ist die Art von Begründung, die einer Frau freisteht, nehme ich an«, sagte er mit leichter Missbilligung.
»Aber sie ist zu gefühlsbetont.« Ein schwaches Lächeln kräuselte seine Lippen.
»Ich will nicht unfreundlich sein.«
Er wandte sich an Merrit. »Vielleicht möchtest du noch eine Weile bei deiner Mutter bleiben, bevor wir nach Washington zurückkehren. Ich könnte noch mindestens eine Woche bleiben, aber dann sollte ich mich wieder meinem Regiment anschließen. Ich habe sehr wenig verlässliche Nachrichten, was zu Hause geschieht. Wenigstens ist nun meine Ehre wiederhergestellt, und England wird wissen, dass die Offiziere der Union rechtschaffen handeln. Es kann gut sein, dass man mich noch einmal hierher schickt, um weitere Waffen zu kaufen.«
Es folgte ein Moment des Schweigens, bevor Merrit mit ruhiger Stimme zu ihrer Antwort ansetzte, aber es war offensichtlich, dass es ihre ganze Willenskraft kostete.
»Ich bin sicher, deine Ehre ist wiederhergestellt, Lyman, und dass das für dich das Wichtigste ist, was passieren konnte. Ich bin ebenso sicher, dass du es verdienst. Dennoch möchte ich nicht mit dir nach Washington zurückkehren. Ich danke dir für das Angebot. Ich bin sicher, dass du mir damit eine große Ehre erweist, aber ich bin nicht der Meinung, dass wir einander glücklich machen würden, daher kann ich nicht annehmen.«
Er begriff nicht, was sie gesagt hatte. Es war ihm unverständlich, dass sie sich von dem jungen Mädchen, das ihn so ergeben angebetet hatte, zu der jungen Frau entwickelt hatte, die nun eine überlegte Entscheidung fällte, die seine Zurückweisung bedeutete.
»Du würdest mich sehr glücklich machen«, sagte er
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