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In den Fängen der Macht

In den Fängen der Macht

Titel: In den Fängen der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Rückseite.
    »Was ist das?«, fragte Casbolt und sah zu ihm auf.
    Monk zögerte. Der Name auf der Uhr lautete »Lyman Breeland«, das eingravierte Datum war »1. Juni 1848«. Monk legte sie genau dorthin zurück, wo er sie gefunden hatte.
    »Was ist das?«, wiederholte Casbolt mit lauter werdender Stimme. »Was haben Sie gefunden?«
    »Breelands Golduhr«, antwortete Monk ruhig. Er wünschte, mehr Mitgefühl anbieten zu können, aber nichts, was er sagen könnte, hätte das Grauen des Geschehens mildern können, und sie mussten nun dringend handeln. »Sie sollten nun all Ihre Kräfte zusammennehmen und die Polizei holen.« Er betrachtete Casbolts weißes Gesicht genauer, um festzustellen, ob er dazu in der Lage sein würde. »In der Nähe ist gewiss ein Constable auf Streife. Fragen Sie. Dort draußen sind Menschen unterwegs. Irgendwer wird es schon wissen.«
    »Die Waffen!«, schrie Casbolt, stolperte auf die Füße, torkelte einen Moment, dann schleppte er sich mit schlurfenden Schritten auf die großen doppelten Holztore des Warenlagers zu.
    Monk folgte ihm und hatte ihn fast eingeholt, als Casbolt am Türgriff riss und das Tor aufschwang. In dem Teil des Lagers, den man überblicken konnte, war rein gar nichts, keine Kisten, keine Weidenkörbe, nichts.
    »Sie sind weg«, stieß Casbolt aus. »Er hat sie gestohlen … alle. Und die gesamte Munition. Sechstausend Musketen mit gezogenem Lauf und über eine halbe Million dazugehörende Kartuschen. Alles, was Breeland haben wollte, und zusätzliche fünfhundert Stück!«
    »Gehen Sie und holen Sie die Polizei«, trug Monk ihm mit ruhiger Stimme auf. »Wir können hier nichts tun. Hier handelt es sich nicht nur um Diebstahl, sondern um dreifachen Mord.«
    Casbolts Kinn klappte herunter. »Gütiger Gott! Denken Sie etwa, ich würde mich einen feuchten Kehricht um die Waffen kümmern? Ich wollte nur wissen, ob er es war, der das hier verbrochen hat! Man wird ihn hängen!« Dann drehte er sich um und ging steifbeinig, mit linkischen Bewegungen davon.
    Als er den Hof verlassen und das Tor sich hinter ihm geschlossen hatte, begann Monk erneut, alles abzusuchen, dieses Mal mit größerer Aufmerksamkeit. Er ging nicht zu den Leichen zurück. Ihr Anblick, jenseits jeglicher menschlichen Hilfe, verursachte ihm Übelkeit. Überdies hatte er nicht das Gefühl, aus dem Geschehen etwas lernen zu können. Stattdessen heftete er seinen Blick auf den Boden. Er begann am Eingangstor, der Stelle, die jedes Fahrzeug passiert haben musste. Der Hof war gepflastert, darauf war eine sichtbare Schicht von Morast, Staub und Rußablagerungen eines nahen Fabrikschlotes sowie die getrockneten Überreste von Pferdeäpfeln. Mit einiger Hingabe war es möglich, die jüngsten Radspuren von wenigstens zwei Lastkarren festzustellen, die hereingefahren waren. Vermutlich hatten sie rangiert und kehrtgemacht, damit die Pferde sich wieder dem Ausgang zuwandten und die Wagen mit der Rückseite an den Lagerhaustoren standen.
    Mit Schritten maß er grob aus, wo die Pferde etwa zwei Stunden gestanden haben mussten, eine Zeitspanne, die man vermutlich brauchte, um sechstausend Gewehre, je zwanzig in einer Kiste, sowie die ganze Munition zu verladen. Selbst wenn sie den Kran des Lagerhauses benutzt hatten, musste es eine enorme Anstrengung gewesen sein. Das würde erklären, was die Männer in den zwei Stunden zwischen Mitternacht und ihrem Tod gemacht hatten – sie waren gezwungen worden, die Gewehre und die Munition zu verladen.
    Er fand frischen Pferdemist, der von mindestens zwei Rädern flach gequetscht worden war.
    Hatten sie auch draußen vor dem Tor weitere Lastkarren stehen lassen?
    Nein, die hätten Aufmerksamkeit erregt. Jemand hätte sich daran erinnert. Sie hatten sie sicherlich alle gemeinsam in den Hof gefahren und sie dort warten lassen. Er war groß genug dafür.
    Offensichtlich hatte Breeland Komplizen gehabt, abrufbereit und nur auf das Einsatzkommando wartend. Aber von wem stammte die Depesche? Was war ihr Inhalt? Dass sie bereit waren, Lastkarren organisiert hatten, ja sogar ein Schiff, das mit der Morgenflut auslaufen würde? Das alles würde die Polizei ermitteln. Monk hatte keine Ahnung, wann die Flussgezeiten wechselten. Sie änderten sich ohnehin jeden Tag ein wenig.
    Er ging durch den ganzen Hof, dann noch einmal durch das Innere des Lagerhauses, aber er entdeckte nichts, was ihm noch etwas verraten hätte, über das hinaus, was offensichtlich war. Irgendjemand hatte wenigstens zwei

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