In den Fängen der Macht
gewartet haben, auf das die Waffen dann verladen wurden.« Er sah bei seinen Worten Judith an, nicht Casbolt, und doch war er sich bewusst, dass der Mann ihn beobachtete und förmlich jedes Wort aufsaugte.
»Wir konnten keinen Hinweis auf Merrit entdecken«, fügte er hinzu, wobei seine Stimme noch leiser wurde.
»Der letzte Zeuge, mit dem wir sprachen, ein Fährmann aus der Gegend von Greenwich, sah zwei Männer, einen großen, der sich sehr aufrecht hielt und dessen Akzent er nicht lokalisieren konnte, und einen kleineren, dickeren Mann, aber keine Frau. Sergeant Lanyon, der mit dem Fall betraut ist, gibt nicht auf, aber das Beste, was wir noch hoffen können, ist, dass er den Besitzer des Lastkahns ausfindig machen und seine Mittäterschaft beweisen kann. Er könnte ihn als Komplizen vor Gericht bringen.«
Er erwog, hinzuzufügen, dass es keinen Beweis dafür gab, dass Merrit etwas passiert sei, aber er erkannte, dass dies unsinnig gewesen wäre. Nichts hätte leichter sein können, als Merrit mitzunehmen und ihren Leichnam ins Wasser zu werfen, sobald sie die Flussmündung hinter sich gebracht hatten. Judith hatte diese Möglichkeit gewiss bereits in Erwägung gezogen, und wenn sie es noch nicht getan hatte, dann würde sie es sehr bald tun, während der langen Tage, die vor ihr lagen.
»Ich verstehe…«, flüsterte sie. »Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind, um mir das zu berichten. Es kann nicht einfach gewesen sein.«
Casbolt trat zu ihr. »Judith…« Sein Gesicht war grau und von Mitleid verzerrt.
Sehr sanft hob sie die Hand, als wollte sie ihn davon abhalten, näher zu treten. Monk fragte sich, ob sie die Kontrolle über sich verlieren würde, wenn er sie berührte. Mitgefühl war vielleicht mehr, als sie im Moment vertragen konnte. Vielleicht war jegliches Gefühl zu viel.
Sehr langsam kam sie auf Monk zu. Selbst in diesem Zustand des Kummers war sie bemerkenswert schön und unterschied sich von jeder anderen Frau, die er jemals gesehen hatte. Mit diesen vollen Lippen hätte sie eigentlich gewöhnlich wirken müssen, doch sie wirkten sinnlich, waren noch in jüngster Vergangenheit schnell zu einem Lächeln bereit gewesen. Jetzt, da sie kurz davor stand, in Tränen auszubrechen, waren ihre Lippen jedoch streng geschlossen, was ihre Verletzlichkeit verriet. Auf ihren hohen Wangenknochen schimmerte das Licht.
»Mr. Monk, wohin, glauben Sie, ist Mr. Breeland gefahren?«
»Nach Amerika, mitsamt seinen Gewehren«, antwortete er augenblicklich. Daran bestand für ihn kein Zweifel.
»Und meine Tochter?«
»Ist bei ihm.« In dieser Beziehung war er sich nicht ganz so sicher, aber dies war die einzig mögliche Antwort, die er ihr geben konnte.
Sie bewahrte Haltung. »Freiwillig, glauben Sie?«
Er hatte keine Ahnung. Es gab diverse Möglichkeiten, die meisten davon waren hässlich. »Ich weiß es nicht, aber von den Leuten, mit denen wir sprachen, hatte niemand etwas von einem Kampf bemerkt.«
Sie schluckte angestrengt. »Es könnte auch sein, dass sie als Geisel mitgeführt wird, nicht wahr? Ich kann einfach nicht glauben, dass sie willentlich am Tod ihres Vaters Mitschuld trägt, auch wenn sie gegen den Diebstahl der Gewehre nichts einzuwenden hatte. Sie ist leidenschaftlich und noch sehr jung.« Ihre Stimme wurde brüchig und hätte fast versagt. »Sie denkt die Dinge nicht bis zum Ende durch, aber es steckt keine Bösartigkeit in ihr. Niemals würde sie… Mord gutheißen.« Sie zwang sich, das Wort auszusprechen, aber der Schmerz, den es ihr verursachte, klang schrill in ihrer Stimme. »An niemandem.«
»Judith!« Casbolt protestierte erneut, und die Seelenqual, die er um ihretwillen litt, stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Bitte! Quäle dich nicht! Es gibt einfach keine Möglichkeit, festzustellen, was passiert ist. Selbstverständlich würde Merrit nicht freiwillig an… an einer Gewalttat mitwirken. Mit größter Wahrscheinlichkeit weiß sie von all dem nichts. Und ganz offensichtlich ist sie in Breeland verliebt.«
Er stand nun sehr nahe bei ihr, aber er unterließ jeglichen Versuch, sie zu berühren. »Menschen unternehmen außergewöhnliche Dinge, wenn sie verliebt sind. Männer wie Frauen opfern alles für den Menschen, den sie ins Herz geschlossen haben.« Seine Stimme klang rau, als ob er beständig in schrecklicher Angst spräche und ihm diese Stimmlage zur zweiten Natur geworden wäre. »Wenn Breeland sie liebt, wird er ihr niemals ein Leid zufügen, egal, wozu er sonst noch
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