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In den Fängen der Macht

In den Fängen der Macht

Titel: In den Fängen der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sich, dann sanken sie zurück, und er begann sie zu küssen. Sie waren müde und schmutzig, völlig derangiert und weit fort von zu Hause, und sie durften es nicht zulassen, dass etwas Schlimmes passierte. Wenn sie ihr Vorhaben auch nur ein Mal ernsthaft überdenken würden, würde sie der Gedanke lahmen, es tatsächlich anpacken zu müssen.
    Beim Frühstück am folgenden Morgen trafen sie Philo Trace wieder. Es war eine ausgedehnte Mahlzeit und stellte sogar ein englisches Frühstück auf dem Land in den Schatten. Hier gab es neben dem üblichen Speck, den Eiern, Würstchen und Kartoffeln auch noch gebackene Austern, Steak mit Zwiebeln und hinterher Pudding. Dies war offenbar die erste von fünf Mahlzeiten, die während des Tages angeboten wurden, jede davon von vergleichbarer Opulenz. Hester nahm zwei leicht pochierte Eier, einige wunderbare Erdbeeren, Toast mit verschiedenen Marmeladen, die sie als viel zu süß empfand, und Kaffee, der der beste war, den sie je getrunken hatte.
    Philo Trace wirkte müde. In seinem Gesicht waren tiefe Falten der Müdigkeit und Sorge. Unter seinen dunklen Augen lagen schwere Schatten, und seine Nasenflügel sahen wie zusammengequetscht aus. Doch er war makellos rasiert und gekleidet und hatte offensichtlich nicht die Absicht, die Gefühle zur Schau zu stellen, die ihn quälten, wenn er sah, dass sich sein Land vom bloßen Gerede über Krieg auf dessen Realität zu bewegte.
    Der Speisesaal des Hotels war voll. Es waren meist Männer, darunter einige Armeeoffiziere, aber es war auch eine beträchtliche Anzahl von Frauen darunter, mehr, als es in einem vergleichbaren Etablissement in England gewesen wären. Überrascht bemerkte Hester, dass einige der Männer langes wallendes Haar hatten, das sie lose trugen, so dass es über ihre Kragen fiel. Nur sehr wenige waren ordentlich rasiert.
    Trace lehnte sich ein wenig nach vorn und sprach leise.
    »Ich habe bereits einige Erkundigungen eingezogen. Die Armee rückte vor zwei Tagen, am 16. Juli, in Richtung Süden nach Manassas ab.« Seine Stimme klang ein wenig brüchig, er konnte seinen Schmerz nicht unterdrücken.
    »General Beauregard schlug ganz in der Nähe das Camp der konföderierten Armee auf, und MacDowell wird sich dort mit ihm treffen.« Ein Schatten legte sich auf seine Augen. »Ich nehme an, sie haben Breelands Waffen bei sich. Vermutlich sollte ich wohl eher sagen, Mr. Albertons Waffen.« Er schenkte der Mahlzeit auf seinem Teller keinerlei Beachtung. Er gab nicht zu, dass er gehofft hatte, verhindern zu können, dass die Gewehre die Truppen der Union erreichten. Hester hätte ihn der Realität gegenüber für blind gehalten, hätte er sich dieser Hoffnung hingegeben, aber manches Mal kann man es schlichtweg nicht ertragen, einer Tatsache ins Auge zu sehen, und Blindheit wird zur Notwendigkeit – für eine Weile jedenfalls.
    Um sie herum dröhnte der Speisesaal von den Unterhaltungen, ab und zu hob sich irgendwo in der Erregung die Lautstärke der Gespräche. Die Luft war von Rauch geschwängert, und selbst jetzt, um halb neun Uhr morgens, war es bereits feucht und heiß.
    »Das können wir nicht verhindern«, erwiderte Monk gelassen und mit seinem üblichen Sinn für das Praktische.
    »Wir sind hier, um Merrit Alberton zu finden und nach Hause zu bringen.« In seiner Stimme lag ein überraschendes Mitgefühl. »Aber wenn Sie uns verlassen möchten, um sich Ihren Leuten anzuschließen, wird Sie niemand bitten zu bleiben. Es könnte gefährlich für Sie werden.«
    Trace zuckte fast unmerklich die Achseln. »Es sind immer noch genügend Südstaatler in der Stadt. Vermutlich stammt jeder Mann mit langen Haaren, den Sie hier sehen, aus dem Süden, den ›Sklavenstaaten‹, wie sie hier genannt werden.« Nun sprach Bitterkeit aus ihm. »Das ist ein Brauch, den man im Norden nicht pflegt.«
    Hester mochte ihn, aber sie hatte sich während der Reise des Öfteren gefragt, wie er sich einer Sache verschreiben konnte, die nur als Gräueltat und nach sämtlichen Moralbegriffen als Verletzung der von Gott gegebenen Rechte der Menschen betrachtet werden konnte. Sie wollte seine Antwort nicht wissen, für den Fall, dass sie ihn dafür hätte verachten müssen, daher hatte sie nie gefragt. Aber als er dessen ungeachtet nun eine Antwort gab, hörte sie den unterdrückten Zorn in seiner Stimme.
    »Die meisten von ihnen haben nie zuvor eine Plantage gesehen, geschweige denn darüber nachgedacht, wie sie funktioniert. Ich habe selbst nicht

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