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In den Fängen der Macht

In den Fängen der Macht

Titel: In den Fängen der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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viele gesehen.« Er lachte barsch, als ob er sich verschluckt hätte. »Die meisten von uns Südstaatlern sind kleine Farmer, und wir bearbeiten unser eigenes Land. Sie können viele Dutzende von Meilen gehen und werden nichts anderes sehen. Aber wir leben von der Baumwolle und von Tabak. Das ist es, was wir in den Norden verkaufen, wo es in den Fabriken verarbeitet und ins Ausland verschifft wird.«
    Plötzlich verstummte er, senkte den Kopf und fuhr sich mit der Hand so heftig durchs Haar, dass es wehtun musste. »Ich weiß eigentlich gar nicht so genau, worum es sich bei diesem Krieg handelt und warum wir uns gegenseitig an den Hals gehen. Warum können sie uns nicht einfach in Ruhe lassen? Natürlich gibt es üble Sklavenhalter, Männer, die ihre Feld und Haussklaven verprügeln und denen nichts geschieht, auch wenn sie sie zu Tode prügeln. Aber auch im Norden gibt es Armut, und niemand setzt sich dagegen ein! Einige der industrialisierten Städte sind voller verhungernder, vor Kälte zitternder Männer, Frauen und sogar Kinder, die niemand aufnimmt oder ihnen zu essen gibt. Kein Mensch schert sich darum! Ein Plantagenbesitzer kümmert sich wenigstens um seine Sklaven, vielleicht aus wirtschaftlichen Gründen, vielleicht aber auch aus purer Anständigkeit.«
    Weder Monk noch Hester unterbrachen ihn. Sie warfen einander einen Blick zu, aber es war klar, dass Trace sowohl mit sich selbst als auch mit ihnen sprach. Er war ein Mann, der von Umständen überwältigt war, die er weder verstehen noch kontrollieren konnte. Er war sich nicht einmal mehr sicher, woran er glaubte, nur dass er im Begriff war, das, was er liebte, zu verlieren und dass es schnell zu spät sein würde, um an dem bevorstehenden Grauen noch etwas zu ändern.
    Hester verspürte größtes Mitleid für ihn. In den zwei Wochen, die sie ihn nun kannte, hatte sie ihn auf dem Schiff als auch im Zug sowohl in Momenten beobachtet, in denen er sich allein wähnte und sich die Einsamkeit wie eine Decke um ihn zu legen schien, als auch zu Zeiten, in denen er ein spontanes Einfühlungsvermögen für andere Passagiere bewies, die ebensolche Ungewissheit vor Augen hatten und den Mut aufzubringen versuchten, ihre Familien nicht noch weiter zu ängstigen und zu belasten, indem sie ihre Furcht schürten.
    An Bord des Schiffes war eine Irin mit ausgezehrtem Gesicht gewesen. Sie hatte vier Kinder und kämpfte darum, sie zu trösten und sich zu verhalten, als ob sie genau wüsste, was sie tun würden, wenn sie in einem fremden Land ankämen, ohne Freunde und ohne einen Ort, an dem sie leben konnten. In ihrer Einsamkeit starrte sie über die endlose Weite des Wassers, und in ihrem Gesicht stand die blanke Angst. Trace war zu ihr gegangen, hatte sich still neben sie gestellt, den Arm um ihre mageren Schultern gelegt und den Augenblick mit ihr geteilt und sein Verständnis angeboten.
    Doch Hester konnte sich im Moment nicht vorstellen, was sie ihm hätte sagen können, einem Mann, der den Ruin seines Landes vor Augen hatte und ihn für zwei Engländer in Worte zu fassen versuchte, die wegen einer einzigen und möglicherweise vergeblichen Mission gekommen waren, die aber hinterher in den Frieden und in Sicherheit zurückkehren konnten, auch wenn sie Judith Alberton womöglich ihr Scheitern erklären mussten.
    »Wir ahnen noch nicht einmal, was wir im Begriff sind, zu tun!«, sagte Trace bedächtig und sah nun zu Monk auf.
    »Es muss doch einen besseren Weg geben! Die Gesetzgebung mag zwar Jahre dauern, aber das Vermächtnis des Krieges wird nie mehr weichen.«
    »Sie können nichts daran ändern«, erwiderte Monk schlicht, aber in seinem Gesicht stand die ganze Vielfalt seiner Gefühle geschrieben. Trace sah es und lächelte leicht.
    »Ich weiß. Ich würde besser daran tun, mich der Aufgabe zu widmen, derentwegen wir gekommen sind«, bekannte er. »Ich sage es, bevor Sie es tun. Wir müssen Breelands Familie finden. Sie hält sich gewiss noch hier auf, und Merrit Alberton wird vermutlich bei ihnen sein.« Er fügte nicht hinzu: »wenn sie noch am Leben ist«, aber der Gedanke äußerte sich in dem schnellen Herabziehen seiner Mundwinkel. Hester hegte denselben Gedanken und wusste, dass dies auch bei Monk der Fall war.
    »Wo wollen wir beginnen?«, fragte Monk. Er warf einen Blick durch den Speisesaal, in dem sämtliche Tische besetzt waren. Während der ganzen Zeit, die sie hier gewesen waren, waren viele Menschen gekommen und gegangen. »Wir müssen diskret vorgehen.

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