Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In den Fängen der Macht

In den Fängen der Macht

Titel: In den Fängen der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
sich nicht sicher war, ob ihm dies zusagte oder nicht.
    Sie erkannte, dass sie etwas gesagt hatte, was er vage als unschicklich betrachtete. Vielleicht war Breeland der Auffassung, Frauen sollten über ein derartiges Thema ihre Meinung nicht äußern. Sie musste sich dazu zwingen, an Judith Alberton zu denken und sich auf die Zunge zu beißen, um ihm nicht zu erklären, was sie über den stillschweigenden Mut von Frauen auf der ganzen Welt dachte, die Schmerz, Unterdrückung und Unglück ohne Klagen ertrugen. Doch ganz konnte sie sich nicht zurückhalten.
    »Nicht jede Art von Mut ist offensichtlich, Mr. Breeland«, sagte sie mit leiser, gepresster Stimme.
    »Sehr oft besteht Mut darin, eine Wunde zu verbergen, statt sie unverhohlen zu zeigen.«
    »Ich kann nicht behaupten, dass ich Sie verstehe, Ma’am«, sagte er abweisend. »Ich fürchte, mein Sohn befindet sich an der Front, wo in einer Zeit wie dieser jeder gute Soldat sein sollte.«
    »Wie tapfer«, warf Monk mit undeutbarer Stimme ein. Nur Hester wusste, dass sie eine abweisende Ironie zum Ausdruck brachte und er an die grotesken Stellungen der Leichen auf dem Hof des Lagerhauses in der Tooley Street dachte.
    Um sie herum ertönten Musik, Gelächter und das Klingen von Gläsern. Damen mit nackten Schultern glitten vorbei, an ihren Kleidern steckten Magnolienblüten, die süßen Duft verströmten. Es schien Mode zu sein, echte Blumen zu tragen.
    »Und seine Verlobte ist tatsächlich hier bei Ihnen?«, fragte Hester hastig, in der Hoffnung, Breeland würde sich noch über Monks Bemerkung wundern.
    »Natürlich«, erwiderte Breeland und wandte sich zu ihr um.
    »Aber auch sie ist begierig darauf, ihre Pflicht zu tun. Sie sollten stolz auf sie sein, Ma’am. Sie hat eine klare Vorstellung von Recht und Unrecht und hungert regelrecht danach, für die Freiheit aller Menschen zu kämpfen. Das bewundere ich über alle Maßen. Alle Menschen sind Brüder und sollten einander auch so behandeln.« Es klang wie eine Verteidigung, und er blickte Monk an, als ob er Widerspruch erwartete.
    Eine Welle der Panik durchflutete Hester und brannte auf ihren Wangen, als sie an all die Antworten dachte, die Monk geben könnte, die meisten davon gesalzen mit rasiermesserscharfem Sarkasmus.
    Stattdessen lächelte Monk, allerdings etwas hinterhältig.
    »Natürlich sollten sie das«, sagte er sanftmütig. »Und wie ich es sehe, tun Sie alles in Ihrer Macht Stehende, um sicherzustellen, dass sie es auch tun.«
    »Das stimmt, Sir!«, nickte Breeland. »Ah! Da kommt Merrit! Miss Alberton, die Verlobte meines Sohnes.« Er drehte sich um, und sie alle beobachteten, wie Merrit auf sie zukam. Sie war in weite, in der Taille geraffte Röcke und ein in dekorative Falten gelegtes Mieder gekleidet, das mit Gardenien geschmückt war. Sie war vor Erregung errötet und sah bezaubernd aus.
    »Brüder?«, sagte Hester sehr leise zu Monk.
    »Heuchler!«
    »Kain und Abel«, hauchte er ihr zu.
    Hester schluckte den Lachanfall und verwandelte ihn in ein Hüsteln, gerade in dem Augenblick, als Merrit sie erblickte und abrupt stehen blieb. Einen Moment lang drückte ihr Gesicht nur Schock aus. Dann schien sie sich einen Augenblick lang das Gehirn zu zermartern, um sich daran zu erinnern, woher sie diese Menschen kannte. Dann fiel es ihr ein, und sie kam mit unsicherem Lächeln, aber hoch erhobenem Kopf auf sie zu.
    Hester hatte angenommen, sie wüsste, was sie empfinden würde, wenn sie Merrit wieder begegnen würde. Doch nun war all das verschwunden, und sie kämpfte lediglich darum, in dem Gesicht des Mädchens lesen zu können, ob es unverschämte Herausforderung war, die ihr Gesicht zum Leuchten brachte, oder ob sie keine Ahnung von dem hatte, was im Hof des Lagerhauses geschehen war. Gewiss lag jedoch keine Angst oder der Wille zu Rechtfertigung in ihrer Miene.
    Breeland stellte sie einander vor, und es entstand ein kurzer Augenblick, in dem sie alle unsicher waren, ob sie zugeben sollten, dass sie einander bereits kannten.
    Merrit sog den Atem ein, schwieg dann aber. Hester warf Monk einen Blick zu.
    »Guten Abend, Miss Alberton«, sagte er leicht lächelnd, um höflich zu wirken. »Mr. Breeland spricht ja in den höchsten Tönen von Ihnen.«
    Dies war zweideutig, verpflichtete ihn jedoch zu nichts. Sie errötete. Offensichtlich freute sie die Bemerkung. Sie wirkte sehr jung. Trotz der weiblichen Rundungen ihres Körpers und ihres romantischen Kleides konnte Hester immer noch das Kind in ihr sehen. Es

Weitere Kostenlose Bücher