In den Faengen der Nacht
Sie hatte noch nie jemanden gesehen, der so fror. Sie dachte, dass er von den Emotionen, die die Droge hervorgerufen hatte, Schmerzen haben müsste. Also legte sie sich neben ihn, schmiegte sich an ihn und versuchte, ihn mit ihrem Körper zu wärmen. Der arme Mann! Und sie war dumm genug gewesen zu denken, dass sie ganz allein in der Welt stehen würde. Es war wahrscheinlich besser, keine Familie zu haben, als eine, in der die Hälfte tot war und die andere Hälfte einen dafür hasste, dass man deren Tod verursacht hatte.
Sie konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen. Na ja – vielleicht mit Erika zusammenzuleben, was er ja auch noch tat.
Ravyn zitterte in ihren Armen. Er legte seine Hände auf ihre, als sie ihn im dämmrigen Licht des Zimmers ruhig festhielt. »Susan?«
Sie öffnete die Augen. »Ja?«
»Das mit deinen Freunden tut mir sehr leid. Ich wünschte, es wäre nicht passiert.«
»Danke.«
Er wurde plötzlich in ihren Armen schlaff, als ob er wieder das Bewusstsein verloren hätte. Ihr erster Gedanke war, von ihm abzurücken, aber stattdessen legte sie ihren Kopf auf seinen muskulösen Arm. Wie merkwürdig, dass zwei Fremde nun auf der Matratze im Keller eines beliebten Singleclubs mitten am Pioneer Square lagen. Sie wurden beide für ein Verbrechen gejagt, das sie nicht begangen hatten, und waren an einem Platz gefangen, wo sie niemand haben wollte.
Mein Gott, was für ein Tag!
Sie schloss wieder die Augen und seufzte müde. Was vor ihr lag, war noch beängstigender als damals, als sie die Geschichte über Senator Kelly und seine fragwürdigen Ausgaben geschrieben hatte – und kurz danach erfahren hatte, dass ihre Quelle gefälscht gewesen war. Selbst jetzt wand sie sich noch bei der Erinnerung an den Tag, als ihr Chef ihr die Zeitung mit dem Artikel ins Gesicht geschleudert und sie beschuldigt hatte, sie habe das alles nur erfunden.
Dann war sie unter Beschuss von ihren Kollegen geraten, die eine Geschichte nach der anderen über sie schrieben. Freundlichkeit oder Versöhnlichkeit hatte es nicht gegeben, nur Feindseligkeit und Schadenfreude, als sie sie zu Fall brachten – und das alles nur, weil auch sie der falschen Person vertraut hatte, einer Person, von der sie nicht gedacht hätte, dass sie sie anlügen würde.
Und dann hatten die Prozesse begonnen. Beleidigung. Verleumdung. Rufschädigung. Nicht nur der Senator hatte sie verklagt, sondern auch ihre eigene Zeitung. Es war die schlimmste Zeit in ihrem ganzen Leben gewesen.
Bis jetzt. Jetzt hatte sie nicht einmal mehr Angie, die ihr beistand. Und keinen Jimmy, der drohte, die Leute umzubringen, die sie verletzten.
Du brauchst nur ein Wort zu sagen, Sue, und ich nehme sie fest wegen Falschparkens.
Sie war völlig allein.
Wie Ravyn.
Susan blinzelte die Tränen zurück und spielte mit seinem seidigen Haar, wegen dem ihre Nase juckte. Aber es war ihr egal. Sie musste ihn spüren. Es war nicht der richtige Zeitpunkt für Schwäche, sie brauchte ihre Kraft. Besonders weil sie keinerlei Ahnung hatte, wie das alles weitergehen würde. Wie sie auch nur ansatzweise ihr Leben zurückbekommen konnte.
Was sollte sie bloß tun?
Du bist Journalistin, Sue. Was würde eine gute Journalistin jetzt machen?
Die Wahrheit herausfinden. Der einzige Weg, ihr Leben zurückzubekommen, war der, denjenigen bloßzustellen, der hinter alldem stand. Nun gut, sie konnte die Vampire nicht bloßstellen, ohne sich völlig zum Gespött der Leute zu machen, aber Jimmy hatte von einer Vertuschungsaktion gesprochen, und sie vertraute ihm. Er hätte sie nicht angelogen. Niemals. Jemand aus seiner Dienststelle arbeitete ganz sicher mit den Apolliten und den Daimons zusammen, um die Vermisstenfälle herunterzuspielen, die wahrscheinlich allesamt Mordfälle waren. Nun, da sie wusste, was vorging, konnte sie auch Beweise finden und ihn oder sie bloßstellen. Sie konnten bei Gericht vorgelegt werden. Dann hätten die Apolliten keine Hilfe von den Menschen mehr.
Sei nicht blöd. Das ganze Unternehmen war lächerlich, und das wusste sie auch. Wie konnte sie den Leuten etwas verkaufen, wenn sie es nicht sehen konnten?
Ganz zu schweigen davon, dass sie schon einmal in Ungnade gefallen war, weil sie einen Regierungsvertreter verfolgt hatte, der sich anscheinend hatte schmieren lassen.
»Ich bin zu alt, um noch mal von vorn anzufangen.«
Und außerdem war sie dazu zu müde.
Aber als sie das dachte, stieg Angies wunderschönes Gesicht vor ihr auf. Sie konnte Angie und Jimmy bei
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