In den Fesseln des Wikingers
Herr bekam nur das Beste geboten, das der Bauernhof hergab.
Auch die Krieger entzündeten jetzt mehrere Feuer und bereiteten ihr Abendessen. Wilhelms Kämpfer waren gut versorgt, denn sie führten Wagen und Lasttiere mit sich, die Kisten und Säcke mit Verpflegung trugen, auch Gewänder, Felle und Decken und allerlei Dinge des täglichen Gebrauchs waren vorhanden.
Die gefangenen Wikinger hatte man zu einer kleinen Gruppe zusammengetrieben, sie hockten am Boden, an Händen und Füßen gebunden. Nahrung erhielten sie keine, man gab ihnen nur ein wenig Wasser zu trinken. Es waren nur wenige Männer, die meisten plagten sich mit Verwundungen, doch keiner von ihnen verzog eine Miene, denn der Feind sollte sich nicht an ihren Schmerzen weiden. Schweigend erwarteten sie ihr Schicksal. Rodena erkannte Erik unter ihnen, der starr vor sich hinblickte, das Gewand voller dunkler Blutflecke, auch einige andere waren ihr bekannt – Thore war nicht unter ihnen.
Niemand kümmerte sich um die beiden Frauen, obgleich der Wagen, auf dem sie saßen, inmitten des Lagers stand. Nachdem die Normannen ihr Mahl beendet hatten, brachte ein junger Krieger eine Schale mit steifem, erkalteten Gerstenbrei, den er ihnen schweigend vor die Füße stellte.
„Immerhin“, sagte Papia, die sehr hungrig war. „Sie behandeln uns besser als die gefangenen Männer.“
Rodena aß keinen Bissen davon. Und wenn sie verhungern musste – von Thores Mördern würde sie nicht einmal einen Krümel Brot annehmen.
„Iss nur“, sagte sie zu Papia, die ihr den Brei aufdrängen wollte. „Mir ist noch schlecht, ich kann nichts herunterbringen.“
Es war schon fast dunkel, doch die Männer legten sich noch immer nicht zum Schlafen nieder, sie schienen auf etwas zu warten. Als Wilhelm Langschwert aus dem Haus trat, kam Bewegung unter die Krieger, sie eilten zu den Wagen, nahmen die erbeuteten Waffen und Gewänder heraus und legten alles vor Wilhelm auf den Boden. Auch die silbernen Anhänger und Fibeln, die sie den Wikingern abgenommen hatten, wurden auf einer Decke ausgebreitet, und die Krieger starrten gierig auf die magere Beute.
„Jetzt verteilt er die Sachen unter seinen Männern“, flüsterte Papia. „Wahrscheinlich werden zuerst diejenigen belohnt, die am tapfersten gekämpft haben.“
„Oder die seine Lieblinge sind“, sagte Rodena missgünstig. „Großartige Schätze gibt es sowieso nicht zu verschenken, weshalb er wohl solch einen Aufwand damit treibt?“
„Vielleicht tut er es, damit unter den Männern kein Streit entsteht ...“ Hasserfüllt starrte Rodena den Mann an, der Thore verraten und getötet hatte. Niemals war der ihr Vater!
Wilhelms Gesicht war sehr ernst, er schien weit davon entfernt, über seinen Sieg zu jubeln, sondern wirkte eher wie ein Mann, der ein Stück Arbeit getan hatte, zugleich aber wusste, dass die nächste Aufgabe bereits auf ihn wartete. Er überflog die Schwerter, Dolche und Beile mit kurzem, sachkundigem Blick, dann musterte er die kleinen Schmuckgegenstände auf der Decke.
Rodena sah, wie er etwas zu einem seiner Getreuen sagte, der Mann bückte sich und hob einen kleinen Gegenstand auf. Es blinkte golden in seiner Hand, und Rodena griff sich unwillkürlich an die Brust. Der Anhänger! Man hatte ihn ihr genommen.
Wilhelm hatte das Kleinod auf die flache Handfläche gelegt und starrte es an. Als er den Kopf hob, war tiefes Erschrecken in seinen Zügen.
Nein!, dachte Rodena voller Verzweiflung. Er darf es nicht kennen, er soll es nicht kennen ... Ich will nicht, dass er dieses Amulett kennt ...
Doch die Getreuen des Herzogs waren bereits unterwegs, um seine Befehle auszuführen. Man hatte rasch herausgebracht, wer dieses Kleinod erbeutet hatte, und gleich darauf näherten sich zwei Männer dem Wagen, auf dem die Frauen saßen.
„Wer trug den goldenen Anhänger?“
Rodena spürte nichts als Trotz in sich. „Er gehörte mir, bis Wilhelms Krieger ihn mir stahlen!“
Die beiden Männer sahen sich an, vermutlich hätten sie dieser Gefangenen die freche Antwort gern mit Schlägen gelohnt, doch sie hatten einen Befehl auszuführen.
„Der Herzog will dich sehen, Hexe!“
Sie zogen sie vom Wagen herunter, und sie hatte Mühe, nicht zu stürzen, als sie auf den Füßen stand. Feuer, Zelte, Pferde und die Gesichter der Männer kreisten vor ihren Augen, doch der Trotz hielt sie aufrecht, und so stolperte sie voran, bis man sie plötzlich an beiden Armen festhielt. Sie hob verstört den Kopf und begriff,
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