In den Fesseln des Wikingers
antwortet nicht“, sagte Halvdan boshaft. „Thore Eishammer schämt sich, uns zu gestehen, dass er Wilhelm das Leben geschenkt hat. Die Götter mögen wissen, weshalb er das getan hat. Von uns wird es jedenfalls keiner begreifen.“
„Ist das wahr?“, rief Björn erschüttert.
Thore nickte. Er hatte in diesem Augenblick auch die Achtung dieses jungen Burschen verloren, er hatte es verdient, denn er war ein Idiot gewesen.
Keiner sprach ein Wort – die meisten hatten sowieso längst begriffen, was geschehen war. Sie waren einem Verrückten gefolgt, einem Kerl, der sie mit großen Worten betört und sie dann in eine bittere Niederlage geführt hatte.
Ein heftiger Windstoß fuhr durch die Bäume, und ein lautes Knacken ließ die Männer erschrocken aufspringen. Doch drüben am Waldrand war nur ein großer Ast heruntergebrochen. Wilhelms Krieger waren fortgezogen und kehrten vorerst nicht zurück.
„Wir sollten uns bis zum Wikingerlager auf der Seine-Insel durchschlagen“, sagte einer der älteren Wikinger. „Wenn wir einen Umweg nach Süden gehen, können wir es schaffen. Die Festung dort ist sicher, und man wird uns gewiss aufnehmen.“
Das war ein Fußmarsch von vielen Tagen, doch immer noch besser, als hier in der ausgebrannten, zerstörten Festung zu bleiben, wo man bitteren Hunger leiden würde und sich zudem gegen einen Angreifer kaum verteidigen konnte.
„Tut, was ihr wollt“, sagte Thore. „Ich werde mich nicht hinter Festungsmauern verkriechen. Wilhelm hat mich betrogen, und ich werde mich dafür an ihm rächen.“
Er erntete geringschätzige Blicke, Halvdan verzog spöttisch den Mund, Olav schüttelte bekümmert den Kopf und sah zu dem zerstörten Wohnhaus hinüber.
„Und wie willst du das anfangen, Thore Feuerkopf?“, wollte Halvdan wissen.
„Ich werde schon einen Weg finden, Halvdan Kleinmut. Wilhelm hat viele unserer Kameraden gefangen genommen. Sollen wir sie ihrem Schicksal überlassen?“
Halvdan fing an zu lachen. Dieser Schwätzer redete davon, die Gefangenen zu befreien, dabei konnte er froh sein, dass er seine eigene Haut gerettet hatte. Er war wie ein Besessener gegen die Feinde angestürmt, als die Normannen seine Druidin fortschleppten, doch damit waren Thore und jene, die ihm gefolgt waren, dem Massaker entkommen, das sich im Inneren der Festung abspielte. Als sie erkannten, wie aussichtslos der Kampf gegen die gewaltige Übermacht der Feinde war, gelang es der kleinen Gruppe, in den Wald zu fliehen.
„Du kannst dich ja zum Austausch anbieten, Thore. Zwanzig der unsrigen bist du Wilhelm sicher wert. Dann darfst du an ihrer Stelle hängen, und dein Kopf wird die Palisaden von Wilhelms Festung schmücken.“
„Mit feigem Spott hat noch niemand einen Kampf gewonnen“, rief Thore ärgerlich. „Ich zwinge niemanden, mit mir zu gehen. Aber wer aufgibt, bevor der Kampf beendet ist, der verschenkt vorzeitig den Sieg.“
Es ließ sich jedoch keiner der Männer von seinen Worten beeindrucken, zu schlimm war ihre Lage, zu sehr war ihr Vertrauen in ihren Anführer erschüttert. Halvdan, der seinen Ärger unbeirrt an Thore ausließ, legte noch ein weiteres Scheit in den Brand.
„Die Gefangenen willst du befreien? Gib doch zu, dass es dir nur um eine einzige Gefangene geht, die du unbedingt aus Wilhelms Klauen reißen willst: Deine hübsche Druidin will dir nicht aus dem Sinn. Diese schwarzhaarige Hexe hat einen Zauber über dich geworfen und einen Schwachsinnigen aus dir gemacht.“
Die anderen nickten zustimmend. Längst hatten seine Männer bemerkt, dass Thore nicht mehr der Gleiche war, seitdem die Druidin bei ihnen war.
„Du bist kein Mann mehr, Thore. Du bist ein Weiberknecht geworden.“
„Es ist ein Jammer, mit anzusehen, wie ein solcher Krieger sich zum Gespött macht, eines Weibes wegen.“
„Wenn du ihr weiter nachläufst, rennst du in den Tod.“
Thore spürte, wie der Zorn in ihm wuchs, denn der Spott traf ihn umso härter, als er nicht ganz unberechtigt war. Seine Liebe zu Rodena hatte all sein Handeln bestimmt, das war die Wahrheit. Doch er bereute es nicht, und trotz der Niederlage war er weit davon entfernt, sein Ziel aufzugeben. Er hatte nichts mehr in den Händen, stand mit dem Rücken gegen die Wand, und gerade das gab ihm Mut, das Äußerste zu wagen. Schweigend erhob er sich und blickte in die Runde.
„Wer von euch will mich begleiten?“
Herausfordernd sah er einen nach dem anderen an, wartete auf eine Antwort, doch alle schlugen die Augen
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