In den Fesseln des Wikingers
dass sie vor Wilhelm Langschwert stand.
„Woher hast du diesen Schmuck?“
Seine hohe Gestalt schwankte vor ihren Augen, dann überwand sie den Schwindel und wappnete sich. „Er gehört mir.“
„Dir?“, fragte er scharf zurück.
Er besah sie neugierig von oben bis unten, und für einen Augenblick glaubte sie, einen Anflug von Mitleid in seinen Zügen zu sehen. Sie musste ziemlich schlimm aussehen, denn sie war gewiss totenbleich, Haar und Gewand dreckverkrustet und ihr Kopf bis zur Nasenwurzel hinab mit einer blutigen Binde umwickelt.
„Wer bist du?“, wollte er wissen.
„Ich bin Thore Eishammers Frau!“
Ihr Ton war nicht unterwürfig, sondern stolz, und sie konnte sehen, dass ihre Antwort ihn verblüffte. Dann verzog er herablassend und spöttisch den Mund.
„Wohl eher seine Hure. Wie eine Wikingerfrau siehst du nicht gerade aus. Wo ist die Druidin, die bei euch gewesen ist?“
Jetzt war sie froh darüber, dass der Verband fast die Hälfte ihres Gesichts verbarg Er hatte keine Ahnung, dass die Gesuchte vor ihm stand.
„Sie ist davongelaufen, weil sie Angst vor deinen Kriegern hatte.“
„Wohin?“
„Das weiß ich nicht.“
„Gab sie dir den Schmuck?“
„Frag sie doch selbst.“
Er stieß einen Fluch aus und fasste sie beim Arm, so dass sie taumelte. Zornig schüttelte er sie und ließ sie erst wieder los, als ihr die Knie einknickten und sie vor ihm zu Boden stürzte.
„Was ist mit der Druidin geschehen?“, rief er in hellem Zorn. „Hat der verfluchte Bastard sie töten lassen und dieses Kleinod seiner Hure geschenkt? War es so?“
Rodena gab keine Antwort. Schweigend richtete sie sich zum Sitzen auf und sah zu dem zornigen Mann empor. Wieso lag ihm das Schicksal der Druidin so am Herzen?
„War es so?“, wiederholte er und beugte sich zu ihr herab. In seiner Hand funkelte das goldene Amulett, er hielt er ihr jetzt dicht vor die Augen.
„Niemals hätte sie diesen Schmuck freiwillig fortgegeben! Man kann ihn ihr nur mit Gewalt genommen haben!“
Rodena schloss die Augen, denn der goldene Wolf auf dem Anhänger schien höhnisch die Zähne zu fletschen. Plötzlich jedoch schoss ihr die Lösung durch den Sinn.
Wilhelm meinte gar nicht sie. Er hatte nach ihrer Mutter gesucht. Kira war es, deren Auslieferung er von den Wikingern gefordert hatte.
„Sie hat ihn mir geschenkt“, sagte sie trotzig. „Sie wollte diesen Anhänger nicht mehr haben und hat ihn mir gegeben.“
Wilhelms Faust schloss sich um das Kleinod, und er schien nicht übel Lust zu haben, die vor ihm am Boden kauernde Frau zu schlagen. Doch er tat es nicht. Stattdessen gab er seinen Männern einen kurzen Befehl, und man fasste Rodena unter den Achseln, um sie auf die Füße zu stellen.
„Du wirst deine Strafe gemeinsam mit deinem Liebhaber erleiden“, zischte er sie an. „Sorge dich nicht. Ich werde diesen dreckigen Bastard bald in meinen Händen haben. Dann wirst du ihn qualvoll sterben sehen, und ich werde dir die Gunst gewähren, gemeinsam mit seinem Leichnam zu verbrennen.“
Man schleppte sie fort, stieß sie unsanft auf den Wagen hinauf, und dort umschlossen sie Papias Arme.
„Was hat er mit dir gemacht?“, schluchzte das Mädchen. „Oh wie ich die Normannen hasse! Einen wie den anderen, aber Wilhelm, diesen Verräter, am allermeisten. Hat er dich geschlagen?“
Doch zu ihrer Überraschung lächelte Rodena.
„Er lebt“, flüsterte sie. „Thore ist noch am Leben!“
***
Schwarz verkohlt ragten die Reste der Palisadenwand in die Höhe. Dass sie überhaupt noch standen, war dem Nieselregen zu verdanken, denn das nasse, frisch geschlagene Holz hatte allen Versuchen der Normannen widerstanden, es in Brand zu setzen. Dafür hatten die Eroberer sich redlich bemüht, einzelne Stämme herauszubrechen, um Lücken in die Wand zu reißen, auch hatte man das Wohnhaus zerstört und das Holz zu Scheiterhaufen aufgeschichtet.
„Hier ist nichts mehr zu holen.“
Halvdan stieß mit dem Fuß gegen einen angekohlten Balken, der Holzhaufen geriet ins Wanken und brach in sich zusammen. Ein wenig Asche staubte auf, und der Wind trug sie als graue Dunstwolke über die zerstörte Festung.
Die wenigen Wikinger, die sich gemeinsam mit Thore hatten retten können, waren am Morgen nach der verlorenen Schlacht zur Festung zurückgekehrt, um ihre gefallenen Kameraden zu beerdigen. Man hatte ihnen nicht einmal ihre Waffen mit ins Grab legen können, denn die Sieger hatten sie vollkommen ausgeraubt. Dennoch waren sie zu
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