In den Fesseln des Wikingers
gestreift.
„Freilich haben wir einen solchen Raum, Herr. Aber dort ist bereits jemand eingesperrt. Wir könnten den Wikinger aber vielleicht in einem der Nebengebäude unterbringen. Sie sind aus festem Holz errichtet und ...“
„Nichts da!“, knurrte Wilhelm. „Packt euren eigenen Gefangenen in solch ein Nebengebäude. Dieser Wikinger zertrümmert Holz wie Spreu und müsste eigentlich in Eisen gelegt werden.“
Der Klosterabt war ein ältlicher, langaufgeschossener Mensch mit dichten schwarzen Augenbrauen und glattrasierten Wangen. Er schien in einem Zwiespalt zu sein, denn er wand sich unter der unnachgiebigen Forderung seines Herrn.
„Gnädiger Herzog, eine solche Entscheidung würde uns allen großes Unglück bringen und sogar das Heil unserer Seelen gefährden. Der Gefangene im Keller des Klosters ist nämlich ...“
„Was redest du da für Zeug“, fuhr ihn Wilhelm ungeduldig an. „Du wirst ja wohl nicht den Teufel selbst im Klosterkeller eingesperrt haben!“
Der Abt machte rasch das Zeichen des Kreuzes und wischte sich dann mit dem Ärmel über die verschwitzte Stirn. Die verzweifelten Blicke seiner Mönche waren auf ihn gerichtet, und so wagte er einen neuen Vorstoß.
„Schlimmer noch, Herr“, sagte er. „Ein Weib ist dort unten. Eine heidnische Zauberin, die wir vor einigen Tagen aufgriffen.“
Rodena verspürte ein Zittern, und ihr Herz klopfte plötzlich wild.
„Eine Zauberin?“, hörte sie Wilhelm fragen. „Eine Druidin vielleicht gar?“
„Ganz sicher ist es eine Druidin, Herr“, sagte der Abt voller Eifer. „Doch sorgt Euch nicht, die verfluchte Heidin ist bei uns in sicherem Gewahrsam und wird niemandem mehr schaden. Wir erwischten sie, als sie einer Bäuerin ein Kind entband, und konnten sie mit knapper Not daran hindern, das arme, ungetaufte Menschlein dem Teufel zu opfern. Wir haben ihr einen Sack übergestülpt, so dass sie keine Zauberzeichen mehr machen konnte, und jetzt sitzt sie seit drei Tagen unten im Keller. Wenn Ihr es befehlt, Herr, so werden wir das Wagnis unternehmen, sie von dort unten heraufzuholen, um sie mit Hilfe Eurer Krieger draußen auf der Klosterwiese dem Feuer zu übergeben ...“
Rodena hörte nichts mehr. Mit einem Aufschrei stieß sie die umstehenden Mönche und Krieger beiseite und stürzte zum Klosterportal.
„Kira!“, schrie sie laut. „Es ist Kira, meine Mutter!“
Der Herzog hatte den Abt an der Kutte gefasst und schüttelte den entsetzten Mann wild hin und her.
„Wenn du ihr auch nur ein einziges Haar gekrümmt hast, lasse ich dieses Kloster dem Erdboden gleichmachen!“
Entsetzen verbreitete sich unter den Klosterbrüdern, denn niemals hatte man den Herrscher so zornig gesehen. Wilhelm hatte jederzeit das Recht, dem Kloster alle Güter und Privilegien zu entziehen, er konnte den Mönchen seinen Schutz versagen und das Land an seine Vasallen verteilen.
„Der Herr möge verhüten, dass diese Heidin Unheil über uns bringt,“, murmelte der Abt. „Wir sind treue Diener Gottes und unseres Herrn, des Herzogs.“
Doch Wilhelm stieß ihn beiseite, so dass er taumelte und seine Mönche ihn auffangen mussten, denn die Beine versagten ihm vor Schreck.
„Ich will sie sehen. Geh voraus, Abt. Führe mich zu ihr in den Keller!“
Mit wankenden Knien stieg der Abt die Stufen in den Hof hinunter, nahm eine der Fackeln, die an der Mauer angebracht waren und ging schleppenden Schrittes zu einer hölzernen Tür.
„Hier, Herr. Vergebt uns, wenn es dort unten etwas muffig sein sollte. Das Kloster ist nicht reich und ...“
„Mach voran, Mönch!“
Er zog den Riegel zurück und stieg vor dem Herzog die enge steinerne Treppe hinunter. Rodena machte eine unwillkürliche Bewegung, um ihnen zu folgen, dann hielt sie inne und besann sich.
Wie auch immer dieses Wiedertreffen ausgehen würde – es war eine Sache zwischen ihren Eltern, sie war dort fehl am Platz.
***
Auf dem Hof herrschte Unruhe, denn nicht jeder hatte gesehen, weshalb Herzog Wilhelm zornig geworden und mit dem Abt im Klosterkeller verschwunden war. Einige der Krieger traten ins Klostergebäude ein, um im Refektorium, wo man für die Gäste bereits lange Tafeln aufgestellt hatte, die besten Plätze zu ergattern. Andere blieben im Hof stehen, denn man wartete auf die Anweisung des Herzogs, wie mit dem Wikinger zu verfahren war. Die Mönche hatten sich verschüchtert zu kleinen Grüppchen zusammengeschart, flüsterten miteinander, und im flackernden Schein der Fackeln war Panik
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