In den Fesseln des Wikingers
jeder Stelle deines Körpers berühren ...“
Sie erzitterte, denn die Vorstellung, dass er dies tun könnte, erfüllte sie mit einer unfassbaren Sehnsucht. Ihr Atem ging rasch, und sie sprach jetzt leise und hastig. „Ich hörte auch anderes aus dem Geräusch des Wassers. Zwei Männer kamen zum Bach, um zu trinken. Einer von ihnen trägt einen Bogen und Pfeile, der andere besitzt ein scharf geschliffenes Schwert. Vor ihnen solltest du dich hüten, Wikinger, denn sie haben offene Augen und Ohren und werden weitersagen, was sie sahen und hörten.“
Er runzelte die Stirn. Hatte sie sich das ebenfalls ausgedacht? „Späher?“
„Ich glaube ja.“
„Von wem ausgesandt?“
„Es kann nur einer sein, Wikinger: Alain Schiefbart. Er muss hier in der Nähe sein, und ganz gewiss wird er nicht zulassen, dass du ein Kloster beraubst, das unter seinem Schutz steht.“
Das konnte allerdings wahr sein. Er fluchte, denn was sie erzählt hatte, waren nichts als vage Dinge, die nicht zu beweisen, aber auch nicht zu widerlegen waren. Falls sie sich jedoch tatsächlich als wahr herausstellen sollten, wäre es ausgesprochen dumm, diese Druidin ihrer Kraft zu berauben.
Vorläufig jedenfalls.
Er stieß einen langen Fluch aus und warf ihr das Kleid hin. Dann bemühte er sich, sie nicht anzusehen, solange sie sich ankleidete, und rang tapfer seine eigene Erregung nieder. Schlecht gelaunt und zornig auf sich selbst trieb er sie vor sich hier, bis sie das Lager erreichten.
Halvdan lief ihm entgegen, er hatte sich einen purpurnen Seidenstoff statt des Gürtels um die Hüfte gebunden und sah reichlich lächerlich damit aus.
„Wo warst du, Thore? Wir haben einen Burschen eingefangen, der sich mit Pfeil und Bogen im Wald herumtrieb.“
***
Der Mann war schmal und sein blonder Bart noch spärlich, er hatte einen jungen Fuchs aufgeschreckt, als er sich zum Wikingerlager schlich, und das hastig davonhuschende Tier hatte ihn verraten. Hartnäckig behauptete er, ein Bauer zu sein und im Wald gejagt zu haben, doch die Wikinger erkannten wohl, dass Bogen und Pfeile, die er mit sich führte, nicht von Bauernhänden gefertigt waren.
Thore starrte düster auf den jungen Burschen, der trotz aller Schläge halsstarrig bei seiner Lüge blieb. Ihre Weissagung war eingetroffen, die Druidin hatte ihm den Beweis erbracht, den er gefordert hatte. Also würde er sie weiterhin nicht berühren, denn ihre Voraussagen waren ihm und seinen Leuten sehr nützlich. Es war gut so, und zugleich fiel es ihm verdammt schwer. „Er ist ein Spion, den der bretonische König Alain Schiefbart ausgeschickt hat“, erklärte er seinen Getreuen. „Wir werden noch heute Nacht reiche Beute machen.“
Rodena ahnte, was dort unter den Männern beschlossen wurde, und sie verspürte Zorn und Unruhe dabei. Hatten diese Räuber nicht genügend zusammengerafft? Weshalb mussten sie jetzt noch das Kloster überfallen? Nicht, dass sie sich um das Schicksal der Klosterbrüder und ihrer Silbergeräte gesorgt hätte – aber sie fürchtete, dass Thore seine Gier nach Schätzen zum Verhängnis werden würde. Beklommen hörte sie, wie er seinen Männern den Weg zum Kloster beschrieb und ihnen dort oben Silber in großen Mengen versprach. Es war wagemutig, was er da unternahm, denn nur einer der beiden Spione war in die Hände seiner Männer gefallen. Der andere würde zu seinem Herrn zurückkehren und berichten, was er gesehen und gehört hatte. Viel klüger wäre es gewesen, zur Küste zu fahren und mit der Beute in die Heimat zurückzukehren.
Weshalb zwang dieser Wikinger sie eigentlich zu Weissagungen, wenn er ihre Warnungen gleich wieder in den Wind schlug? Wollte er das Schicksal nur kennen, um es herauszufordern? Um den Gefahren, die ihm drohten, ein Schnippchen zu schlagen?
Dann wird er früher oder später dabei umkommen, dachte sie und spürte eine seltsame Trauer dabei. Gleich darauf riss sie sich zusammen. Dieser Bursche hatte sie gefesselt und als Gefangene mitgeschleppt, er hatte versucht, ihr Gewalt anzutun und zwang sie dazu, ihm Weissagungen zu machen. Wenn Thore Eishammer im Kampf gegen König Alain Schiefbart erschlagen wurde, dann hatte er diesen Tod redlich verdient, und sie, Rodena, hatte ihre Freiheit wiedergewonnen. Also sollte er doch ruhig auf Raub ausziehen – er würde schon sehen, was er davon hatte.
Die Männer hatten sich inzwischen bewaffnet, sie warteten, bis die Dämmerung einfiel, setzten dann harzige Äste in Brand, um sie als Fackeln zu
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